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Von der Bahia de Vita nach Varadero


Dienstag, 25.03.2008 (310. Tag)

Es reicht, wir hatten schon wieder eine beschissene Nacht. Alle Luken waren verschlossen und trotzdem haben die Mücken ihren Weg ins Boot gefunden. "No-See'ems" nennen sie die Amerikaner. Man bemerkt sie nur daran, dass es irgendwo piekt und wenn man genau hinschaut, sieht man das kleine Scheusal von der Größe eines Flohs. Selbst Moskitonetze bringen da nichts. Unsere Beine und Unterarme und sogar Steffis Gesicht sehen inzwischen aus wie Streuselkuchen und da sich auch heute morgen noch kein Lüftchen regt, geht die Plage nach Sonnenaufgang munter weiter.
So fliehen wir mehr Hals über Kopf aus dem Hafen, als dass wir ganz normal lossegeln. Vor uns liegt eine zweitägige Etappe nach Varadero in Kubas Westen, wo meine Eltern auf uns warten. Die letzte Kaltfront ist durch (haben wir heute Nacht nichts von gemerkt, es war heiß wie immer) und nach der Windprognose, soll der Wind, im Laufe des Tages von N auf O drehen, also eigentlich ideale Bedingungen, um nach Westen zu rauschen.
Draußen empfängt uns eine N 3 und mit großer Fock und vollem Groß tingeln wir an der Küste entlang. Es geht nach NW, also etwas höher als mit halbem Wind, der nicht die geringsten Anstalten macht, nach Osten zu drehen, dafür aber immer mehr zunimmt. Nachmittags müssen wir sogar ein Reff einbinden, denn es ballert mit 6 Bft und die Wellen werden auch immer steiler. Es bietet sich fast das "gewohnte" Bild von der Rundung des Ostkapps... Irgendwie ist die See hier nicht sehr freundlich.
Von Seekrankheit fehlt bei uns unter Deck allerdings jede Spur, ja wir widmen uns sogar nochmal dem Fach unter dem Navitisch, denn immer wieder ziehen Schwaden des Käsegestanks durch's Boot. Endlich finden wir auch seine Quelle: Das Salzwasser von der Fahrt nach Vita hat einen der Milchkartons angelöst (wieso, ist uns schleierhaft) und so hat sich ein ganzer Liter Milch entlang des Stringers verteilt. Während unseres Landausflugs gammelte er dann lustig vor sich hin und nicht nur das: Die Fliegen haben diese ideale Brutstätte natürlich sofort ausfindig gemacht und unsere Abwesenheit zu wilden Sexorgien genutzt. Inzwischen tummeln schon zahlreiche Maden in und um die Kabelkanäle und jetzt beim Putzen müssen wir dann doch mit einem Würgereiz kämpfen.
Abends um 18:00 habe ich es dann doch etwas überstrapaziert und ich werfe eine Pille ein. Die Wellen laufen kreuz und quer und Apelia bockt und boxt sich voran. Auch Steffi wird übel, allerdings mehr vom Gestank und so fällt uns die Entscheidung, die Nacht in einer der "Pocket Bays" zu verbringen leicht. Allerdings sind die querab von uns bei Nordwinden nicht besonders geschützt. Jetzt aber nochmal 2 h durchhalten und dann im Dunkeln in eine Bucht weiter im Westen einzulaufen, das erscheint uns auch nicht das gelbe vom Ei, also wählen wir die Bahia de Manati. Sie ist ein langer Schlauch und nach etwa einer halben Meile könnte eine verfallene Mole (auf Stelzen) wenigstens noch etwas Schutz bieten.
Zur Sicherheit verrammeln wir den Niedergang und machen uns auf einen wilden Ritt im Eingang der Bucht gefaßt. Glücklicherweise verläuft die Einfahrt glimpflich. Links und rechts von der Mündung brechen sich zwar die Wellen, doch in der Mitte kommen wir problemlos durch und der Wind, der inzwischen auf knappe 7 Bft zugenommen hat, peitscht uns vor sich her in den Kanal.
Wir sind leider zu spät, es ist schon stockfinster und bis auf ein paar Baracken am Ufer ist hier drinnen nichts beleuchtet. Fast rammen wir sogar den Molenkopf, der unvermittelt aus der Finsternis auftaucht. Es gibt im Kanal auch noch die ein oder andere Boje, die die riffartigen Untiefen markiert, also nichts wie runter mit den Segeln und schnellstmöglich vor Anker legen.
Es ist gespenstisch. Der Wind heult in der Takelage, die Wellen sind knapp einen halben Meter hoch, es ist wirklich stockfinster und zu allem Überfluß steht ein Strom von einem guten Knoten in den Kanal hinein. Dann noch die Untiefen um uns herum, es ist wirklich nicht der beste Platz, um sich bei diesen Bedingungen aufzuhalten. Langsam tasten wir uns voran. Die Mole bietet nur wenig Schutz und außerdem würde uns das ablaufende Wasser darauf drücken. Weiter hinten in der Bucht müsste es geschützter sein, also tasten wir uns mit 2 kn entlang des Kanals. Steffi sitzt unten und navigiert, während ich abwechselnd in die Dunkelheit spähe und uns entlang der 10 m Linie manövriere.
Plötzlich ein lautes "Rrrrums" und Apelia erzittert. Mein erster Blick geht auf den Tiefenmesser, aber wir haben hier 9 m. Der nächste Blick nach vorne läßt mich erschauern: Wir sind achtkant vor eine Boje gefahren. Es ist ein 3 m hoher Kegel und zum Glück haben wir ihn mit dem Anker erwischt. Das hat den Aufprall gedämpft, aber jetzt rollt das Ding entlang des Rumpfes nach achtern und wie wir später feststellen, hinterläßt es dabei zwei tiefe Kratzer und mehrere Lackschäden. Es hätte ein absoluter GAU sein können, aber wir haben ein mords Glück.
Unsere Nerven liegen blank, also drehen wir um und legen uns kurzerhand im Lee der Mole vor Anker. Der Wind pfeifft in der Takelage, aber die Wellen sind hier zum Glück weniger schlimm, als es den Anschein hatte. Im Schein der Taschenlampe begutachten wir die Schäden und verziehen uns frustriert unter Deck.
Es dauert nicht lange, da nähert sich ein Tuckern. Es ist die Guarda, die zu ihrem obligatorischen Protokollbesuch lang kommt. Das Boot ist die reinste Schrottmühle, sie krängt weit über und ist voller Leute. Sie reden und gestikulieren alle wild durcheinander und nach unserem Bojenintermezzo bin ich alles andere als bereit, unter diesen Bedingungen ein Boot längsseits kommen zu lassen. Ich werde sogar richtig fuchsig, doch der Kapitän macht sein Ding erstklassig und mit all den helfenden Händen kann der Hauptmann ohne Probleme und barfüßig zu uns übersteigen.
Die Freundlichkeit des Beamten läßt uns entspannen. Während uns das kleine Boot tuckernd umkreist, sitzen wir unter Deck und er füllt seine Papiere aus. Er scheint sich richtig darüber zu freuen, dass sich endlich mal was tut und nachdem Steffi ihm einen Kaffee gekocht hat und wir ihm ein Stück Schokolade anbieten, glänzen seine Augen. Irgendwie erinnern mich die Leute hier häufig an Kinder. Gerade die Beamten, die mit einer unglaublichen Gewissenhaftigkeit ihre schwach bedruckten (Nadeldrucker) Formulare ausfüllen. Sie müssen doch selbst das Gefühl haben, dass es völliger Blödsinn ist, aber egal, der Schein wird gewahrt.
Gegen 1:00 soll der Strom kentern. Dann drückt uns der Sturm von der Mole weg, aber der Strom auf sie drauf. Zur Sicherheit stellen wir vor dem zu Bett gehen alle Alarme die es gibt (Tiefe, GPS, Wecker), doch ich schlafe trotzdem schlecht und gucke etwa jede Stunde in die Runde. Dies ist wirklich einer der ätzendsten Momente unserer Tour, vor allem die Ungewißheit, wie weit der Schaden von der Boje reicht, nagt an mir. Zum Glück ist der Wind stärker als der Strom und der Anker hält uns sicher auf Position.


Mittwoch, 26.03.2008 (311. Tag)

Morgens ballert der Wind weiterhin unablässig aus N, also zieht es uns absolut nicht raus auf's Meer. Per SMS beratschlagen wir mit den beiden Andreas'sen zu Hause. Im Nachmittag soll der Wind wohl nach Osten drehen, also lassen wir uns Zeit und widmen uns wiederholt der stinkigen Brutstätte unter dem Navitisch. Ich könnte mir in den Hintern beißen, dass ich beim Überarbeiten der Elektrik nicht alle Kabelkanäle unterhalb der Stringer verlegt habe. Jetzt steht die stinkende Brühe in allen Ritzen und um besser dran zu kommen, reißen wir alle Kabelkanäle heraus.
Unsere Stimmung sinkt und sinkt, doch mittags beschließen wir, dass es reicht. Steffi kocht Spaghetti mit einer frischen Tomatensauce und beim Essen kommen wir langsam über unseren Frust hinweg. Es ist einfach immer wieder erstaunlich, wie gutes Essen die Moral heben kann. Eine Weisheit, die vor allem Schiffsköche kennen. Apelia scheint keine bleibenden Schäden abbekommen zu haben und die Käserei unter dem Navitisch werden wir auch noch ausmisten. Alles wird gut, todo será bien!
Mittags rufen wir die Guarda und der nette Beamte von gestern checkt uns aus. Diesmal läßt er sich allerdings von einem ärmlichen Ruderboot übersetzen. Im Tageslicht sehen wir, dass seine Uniform voller Löcher und Flicken ist. Was muss es für diese Leute schwierig sein, den Glauben ans System zu behalten, wenn nicht mal die Resourcen für vernünftige Kleidung der Staatsbediensteten vorhanden sind.
Mit der kleinen Fock und einem Reff kämpfen wir uns durch die Seen am Kanalausgang, doch je mehr wir uns vom Land entfernen, desto segelbarer werden die Bedingungen. Zur Sicherheit haben wir beide eine Pille intus und gönnen uns abwechselnd Schlaf, um die letzte Nacht schnell zu verarbeiten. In Vita hatten wir zum Glück die Verkehrstrennungsgebiete (TSS) aus Seths Plotter in unsere Uralt-Karte kopiert und so wissen wir, dass es im 800 m tiefen Old Bahama Channel durchaus eng wird. Das TSS grenzt förmlich im Süden an Kubas Küste und im Norden an die Great Bahama Bank, einer über 200x100 nm großen Untiefe (um die 3 m tief). Es ist sozusagen die Autobahn der Frachter auf dem Weg nach Florida und zur Sicherheit wechseln wir auf die Nordseite des Fahrwassers, quasi auf die ganz rechte Spur, vielleicht sogar eher den Standstreifen.

Unser Weg nach Varadero.


Es ist wirklich viel Verkehr und wir reduzieren unsere Rundumblicke auf 10 min Intervalle. Vor allem nachts funken wir die großen wiederholt an, da sie unser Topplicht nicht gut sehen. Der Wind schiebt inzwischen raum mit knappen 6 Bft und wir machen eine herrliche Fahrt. Lediglich die Wellen spielen noch nicht so ganz mit und hin und wieder schwappen sie in die Plicht. Doch das macht nichts, drinnen ist es gemütlich und ich verbringe meine Nachtwache mit dem Mozart Requiem, Schuberts "Forellenquintett" und "Der Tod und das Mädchen".


Donnerstag, 27.03.2008 (312. Tag)

Als mich Steffi morgens um 6:00 zu meiner Wache weckt, bin ich herrlich ausgeruht. Ich habe fast die ganze Freiwache durchgehend gepennt und stehe jetzt lange im Niedergang und blicke auf das Wasser. Seit wir so nah an der Great Bahama Bank entlangsegeln, sind die Wellen kleiner und weniger steil geworden und die Plicht ist trocken. Beim Weinachtsoratorium von Saint-Seans bekomme ich fast einen Sentimentalen, angesichts unseres Glücks, hier segeln zu dürfen. Im Moment wechseln sich Höhen und Tiefen wirklich schnell ab.
Als Steffi um 10:00 aufwacht, reffen wir das Groß aus und machen gleich 1,5 kn mehr Fahrt. Momentan haben wir unsere Norddeutsche Phase und die Banooooone mit Grenooodooo-Schokoloooode (Abschiedsgeschenk von Barbara) schmeckt vorzüglich. Dazu wünscht der Wachhabende dem anderen immer ein ausgiebiges "Schlooooooof jetzt, Du sollst doch schloooofen". Das müßt Ihr, liebe Leser jetzt aber nicht verstehen, man wird halt ein wenig seltsam, wenn man nur unter sich ist.
Den Rest des Tages schieben wir viel Langeweile und verschlingen so manches Buch. Ach ja, und auch Pfannkuchen mit Banoooone. Nur der Wachhabende hat alle Hände voll zu tun, die Großen auf uns aufmerksam zu machen. Steffi ist dadurch etwas im Stress, aber ich finde es einfach nur cool, hier auf der Autobahn unterwegs zu sein. Endlich tut sich mal was um uns herum (abgesehen von den fliegenden Fischen) und da wir knapp 7 kn machen, überholen uns die Großen gar nicht sooo schnell. Nur ein Kühlcontainerschiff von Dole prescht wirklich flott an uns lang. Evtl. ist es eines der neuen von HDW?

Auf dem Highway.



Freitag, 28.03.2008 (313. Tag)

In der Nacht nimmt der Wind leider ab und am Morgen machen wir nur noch 4 kn. Ich lese im Kuba-Reiseführer und bekomme endlich einen Einblick in Kubas Geschichte. Um es kurz zu machen: Kuba war eine spanische Kolonie, bis die USA dem Land zur "Unabhängigkeit" verhielf. Im Gegenzug durften sie mehrere Militärbasen auf Kuba gründen, ein Überbleibsel hiervon ist Guantanamo Bay, dessen 99jähriger Pachtvertrag irgendwo um 2030 ausläuft. Politisch ging es in Kuba schon immer etwas unruhig zu, bis die USA Batisda als Marionetten-Präsidenten etablierten. Unter ihm verwandelte sich das Land dann zusehends in ein maffiöses Las Vegas der USA, bis Fidel und Konsorten im zweiten Anlauf die Revolution anzettelten, alles verstaatlichten und damit den Amis natürlich ordentlich auf die Füße traten. Sofort waren damit die Russen zur Stelle und da sie Kuba einiges an Unterstützung boten und sich die USA auf der anderen Seite immer feindseliger verhielten, schwang das Pendel über und Kuba kippte zum Kommunismus. Der Rest ist Geschichte. Mißwirtschaft und das Zusammenbrechen der Sowjetunion haben Kuba schwer zu Schaffen gemacht, doch mit dem Aufschwung des Tourismus geht es seit 5 Jahren behutsam bergauf.
Mittags nähern wir uns der Halbinsel Hicacos, an deren Fuß Varadero liegt. Hier tummeln sich Scharen von dicken Motorbooten, die wohl am "Hochsee"angeln sind. An Land stehen viele Hotels, doch so schlimm wie auf den Kanaren ist es noch lange nicht. Hier und da sehen wir das bunte Segel eines Hobies und mir kommt kurzzeitig die Idee, dass dort vielleicht meine Eltern unterwegs sind (war auch der Fall, allerdings 2 h früher).
Da sich unser Handbuch als außerordentlich unzuverlässig erwiesen hat, funken wir die Marina an und erfahren, dass die Zufahrt in den Hafen über 4,5 m tief sein soll. Aus Erfahrung klug, bergen wir die Segel allerdings schon vor den Molenköpfen und tasten uns vorsichtig unter Maschine in den Kanal. Auf der Mole entdecken wir dabei zwei kleine Gestalten. Die eine sitzt und die andere winkt wie wild mit einer deutschen Fahne. Es sind meine Eltern und wir machen einen Hüpfer vor Wiedersehensfreude. Am liebsten würden wir kurz längsseits gehen und sie mit zur Marina nehmen, doch in Kuba könnte das zu Ärger mit den Behörden führen.
Am Steg empfängt uns ein Kommittee von 5 Personen und wir müssen den ganzen Papierkram wieder über uns ergehen lassen. Vorher klettert allerdings noch ein Cockerspaniel durch das gesamte Boot und sucht nach Drogen. Dass er dabei einfach über unsere Betten trampelt finden wir ehrlich gesagt nicht so den Brüller, aber die Beamten sind hier irgendwie strenger drauf, wir reißen uns also zusammen. Bei der Imigration-Tussi platzt mir dann aber fast der Kragen. Sie pult umständlich durch unsere gesamte Bord-Apotheke und am Ende hält sie ihrem Kollegen triumphierend einen Tomatenkern unter die Nase. Er muß aus dem Fruchtnetz hineingefallen sein.
Für meine Eltern braucht es nochmal 30 min Palaver, bis sie uns an Bord besuchen dürfen. Diese komplizierte Kleinlichkeit geht uns zusehends auf die Nerven, was bittesehr wird damit beschützt??? Es steht hier eh schon alles voll mit Aufpassern und die Steganlage liegt hinter einem dicken Tor mit Vorhängeschloß, dass für jeden Passanten geöffnet wird.
Auch am Hotel geht es so weiter. Es ist "All Inclusive", also dürfen wir nicht mit rein. Für 12 CUC können wir allerdings mit Abendessen und nach einem ausgiebigen Strandspaziergang kommen wir darüber doch noch auf's Gelände und machen im Zimmer meiner Eltern erstmal Bescherung. Das ist das Tolle, wenn man so unterwegs ist, mit jedem Besuch wiederholt sich ein kleines Weihnachten. So haben meine Eltern unsere reparierte Kamera (die auf den Kanaren ihren Geist aufgab) dabei, T-Shirts und einen Rock für Steffi, neue Stecker zum Ersatz des maroden Plastikdings am Bug, Bücher und als größte Überraschung: Mein von Andreas vollkommen repariertes und gewartetes Laptop. Sein altes sollen wir weiterhin behalten, wir haben also jetzt an Bord die geballte Rechnerpower!
Das Buffet entspricht so ein bisschen dem, was man aus der DDR kennt. Das Gemüse ist halt exotischer und das Obst natürlich um ein vielfaches besser. Wir futtern viel zu viel und fallen totmüde in die Kojen. Wir sind endlich angekommen und haben meine Eltern getroffen. Morgen starten wir unseren echten Urlaub mit einer Fahrt durch das Land und danach bleibt noch viel Zeit für all die kleinen anstehenden Reparaturen.

Todo será bien!