In Varadero
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Samstag, 05.04.2008 (321. Tag)
Unser Landurlaub ist vorbei. Das bedeutet, dass wir uns jetzt durch die Unordnung und die vielen kleinen Baustellen wursteln müssen, um Apelia auf die nächste Tour vorzubereiten. Zunächst sind da die Macken im Rumpf, welche die Tonne hinterlassen hat. Sie befinden sich kurz über Wasserlinienhöhe. Damit die Wellen die Stellen nicht immer wieder naß machen, legen wir Apelia quer in die Box und Tim krängt sie über ein Seil, dass er um die Mastspitze geschlungen hat. Jetzt wird das ganze geschliffen und gründlich mit Süßwasser gespült, damit es anschließend gut austrocknen kann.
Apelia quer in ihrer Box.
Der Stecker im Bug für die Buglaterne und das Ankerlicht macht ja immer wieder Probleme. Gut, daß Tims Vater gleich zwei neue mitgebracht hat. Der alte Stecker muss rauss, die alten Löcher mit Harz verschlossen und der neue Stecker muss reingeschraubt werden. Dann haben wir noch das Leck, welches für die kaputte Milchtüte verantwortlich war. Wir haben die Vermutung, dass das Wasser aus der Backskiste in den Rumpf läuft. Nach vielem Hin- und Herräumen bestätigt sich der Verdacht. Die Kabeldurchführung ist leck. Ich rupfe mit Gewalt das alte Sikka raus. Das ist eine doofe Arbeit, weil man durch einen schmalen Schacht (eigentlich die Hundekoje) krabbeln muss. Dass die Bretter gerade nicht drin sind und man quasi über die Spanten krabbelt, ist dabei nicht wirklich förderlich. Ausserdem knallt von draussen die kubanische Sonne wie wild darauf. Früher oder später gibt das Sikka aber auf und morgen können wir das Loch wieder stopfen.
Tim ist an der frischen Luft tätig. Er zieht den marode gewordenen Klarlack auf der Backbordseite des Cockpits ab. Nebenbei entdeckt er noch eine Stelle an der Badeplattform, an der das Harz nicht mehr hält. Das wird auch zum Trocknen aufgeprokelt.
Chaos unter Deck.
Ich habe irgendwann die Nase voll vom Bastlen und da heute Samstag ist mache ich mich auf den Weg in den Ort, um mich nach einer Messe zu erkundigen. Auch auf Kuba sind die Männer nicht sehr zurückhaltend, was alleine rumlaufende Frauen anbelangt. Vielleicht ist das auch der kommunistische Gedanke: Die Frauen sind für jeden da? Ich jedenfalls bin sehr unkommunistisch und versuche die Anmach-Attacken so gut wie möglich zu ignorieren. Das beginnt schon am Tor zur Marina. Das ist ja immer gut verschlossen mit einem Wachhabenden davor (Tag und Nacht!!!) Derjenige, der momentan Dienst hat, flüstert mir jedesmal, wenn ich alleine passiere ein "beatyful" oder "sexy" hinterher. Ich frage mich nur, ob er sich überhaupt nicht scheinheilig vorkommt, wenn er Tim eifrig grüßt, wenn wir zusammen vorbei kommen. Tim überlegt sich schon, ihn mal richtig zusammen zu stauchen. Seine Reaktion darauf würde mich sehr interessieren. Andererseits denke ich, ich müsste eigentlich selber fähig sein, mich zu wehren. Aber diese Dreistigkeit macht mich immer wieder sprachlos und leider auch handlungsunfähig.
Ich laufe am Kanal entlang und komme an die Brücke, die auf die Touri-Halbinsel führt. Sie ist bevölkert von sehr vielen Jugendlichen, die sich zum Baden getroffen haben. Viele springen sogar von der Brücke herunter ins Wasser. Man merkt, dass Wochenende ist. Was ich bei der Bevölkerungsdichte auf der Brücke nicht merke ist, dass sie ganz schön herunter gekommen aussieht. Wie so vieles hier auf Kuba ist sie aus Beton gebaut, der an vielen Stellen schon den Blick auf die Armierungsdrähte zulässt. Auch die Roste, auf denen man läuft (nichts für Leute mit Höhenangst) blühen vor Rost. Aber die Brücke trägt auch den ganzen Straßenverkehr, also wird sie auch mich aushalten. Von hier aus ist schon die Kirche zu sehen und sie ist sogar geöffnet. Als ich eintrete, ist der Priester gerade bei der Wandlung. Ich feiere die Messe noch mit zuende und erkundige mich nachher nach der Sonntagsmesse. Ja, die gibt es, aber in der 47ten Straße. Und momentan bin ich in der 9ten. Also noch ein gutes Stück laufen. Ich gehe zurück zum Boot und Tim legt sein Tagewerg bei. Da wir noch nicht müde sind, schnappen wir uns die Instrumente und musizieren seit langem mal wieder. Man merkt deutlich, dass wir nicht mehr so recht in Übung sind. Nebenher bewundern wir das Gewitter, dass in der Ferne vorbeizieht.
Sonntag, 06.04.2008 (322. Tag)
Heute ist Sonntag und da wollen wir uns mal eine Dusche gönnen. Nach eine halben Stunde rumlaufen haben wir sogar die Putzfrau gefunden, die den Schlüssel immer im Gewahrsam hat. Wir werden von den anderen Jachties gewarnt, aber wir wollen es selber wissen und so machen wir uns bewaffnet mit Schampoo, Duschgel und dem Badezimmerschlüssel auf den Weg. Der Vorraum mit großen Spiegeln und drei Waschbecken sieht hervorragend aus, was uns hinter der nächsten Tür erwartet, lässt sich schwer in Worte fassen. Es ist einfacher, unsere Reaktion zu beschreiben: wir gehen förmlich rückwärts wieder raus. So ganz stimmt das nicht, denn ich fange noch einen Frosch, der in einer der Duschwannen sitzt, um ihn im Freien wieder laufen (hüpfen) zu lassen. Ich frage mich, wozu die Putzfrau den Schlüssel hat, wenn sie die Badezimmer sowieso nie betritt?! Aber wie gesagt, man hat uns gewarnt. Die anderen Stegbewohner haben entweder eine Borddusche oder duschen unterm Schlauch auf dem Steg. Das werden wir jetzt auch tun in Badehose bzw. Bikini. Was mich dabei maßlos stört, sind die ungenierten Blicke des Wachpersonals, dass hier im Überfluss rumläuft. Trotzdem sind wir irgendwann frisch gewaschen und riechen wieder ganz lecker sauber.
Jetzt geht es weiter mit der Arbeit. Tim harzt den Spiegel, die Löcher vom Stecker und die Macken am Rumpf. Danach zieht er den Rest des Klarlacks im Cockpit ab. Gemeinsam dichten wir das Loch in der Kabeldurchführung der Backskiste. Ich wasche Wäsche, putze unter Deck und räume die Fächer unter der Steuerbord Hundekoje wieder ein. Wir kaufen alle Wasserflaschen in der benachbarten Tankstelle, um wieder einen kleinen Vorrat anzulegen. Später wird sich herausstellen, dass das ein cleverer Schachzug war.
Ich lasse mir von Debbie, der Kanadierin an unserem Steg den Weg zum Markt beschreiben. Sie wohnt schon seit sieben Jahren auf ihrem Boot in der Marina und kennt sich hier gut aus. Zunächst führt mein Weg querfeldein an einem eingezäunten Gelände vorbei, was sich als Ölförderstation entpuppt. Jetzt ist mir endlich klar, warum es bei Südwind immer wie Tankstelle im Hafen richt. Der Gestank kann einem morgens fast den Magen umdrehen. Dann geht es über die Rollbahn des stillgelegten Flugplatzes und dann über Brachland. Im Dorf Santa Marta angekommen gehe ich erst einmal zur Bank um noch ein paar CUC in kubanische Peso zu wechseln. Für knapp fünf Euro kaufe ich dann einen großen Rucksack voll mit frischem Obst und Gemüse und noch eine Tüte Salat. Zuletzt geht es noch auf Eiersuche. Ich weiss, dass der Eierverkauf illegal ist, aber das lasse ich mir nicht anmerken. Treudoof frage ich bei mehreren Ständen nach Eiern und beim dritten bekomme ich den Tipp, mal auf dem Parkplatz vor dem Markt zu fragen. Da steht aber nur ein Wagen mit Snacks. Als ich dort wieder frage, nickt der Verkäufer und ruft einen Mann herbei, der mir nicht nur Eier verkauft sondern auch noch ein riesen Stück Käse anbietet. Das ist noch eingeschweisst und ich ahne, dass seine Frau im Hotel arbeitet und das Stück einfach hat mitgehen lassen. So viel Käse kann ich aber nicht gebrauchen, ohne Kühlschrank bei der Hitze....
Zurück am Boot werden die Lebensmittel verstaut, bevor wir uns auf den Weg auf die Tourihalbinsel machen. Es ist vier Uhr nachmittags, eine Stunde, bevor die Messe in der 47ten beginnt. Tim will währenddessen ins Internet. Wir latschen wirklich eine Stunde, sodass ich die Kirche kurz nach dem Priester betrete. Sie ist rappelvoll und eine Frau in der letzten Reihe winkt mich auch den Stuhl hinter sich. Dann fragt sie mich nach Geld. Leider habe ich nur einen Schein mit, den ich mir für das Körbchen mitgenommen habe. Mehr habe ich nicht bei mir, das mache ich ihr auch verständlich. Sie deutet dann auf ihr zerrissenes Hemd und zeigt mir noch ein Foto von der Familie. Es wird mir zu bunt. Ich habe nichts dagegen, um Geld gebeten zu werden, aber wenn gerade nebenher die Messe läuft, dann finde ich das mehr als unpassend. Ich wechsel den Platz und habe meine Ruhe. Ich sitze jetzt in der Reihe vor ihr und irgendwann höre ich aus ihrer Ecke ein Schluchzen. Ein vorsichtiger Blick über die Schulter bestätigt meinen Verdacht, sie ist wirklich am weinen. Ich fühle mich fast schuldig. So bin ich leider während der ganzen Messe nicht sehr konzentriert. Nachher will ich noch mit ihr sprechen und finde sie draussen. Ich verspreche, dass ich sie am kommenden Tag besuche und ihr ein paar Kleidungsstücke für ihre Töchter mitbringe. Sie notiert mir ihre Adresse und erklärt, dass das in Santa Marta wäre und mir jeder den Weg weisen könnte, wenn ich ihm den Zettel zeige. Gut, mogen um 14 Uhr, verspreche ich, bei ihr zu sein.
Ich latsche zur 30ten, denn dort ist das Internetcafe, in dem Tim sitzt. Zusammen gehen wir heim. Wir sind müde und legen uns früh zu Bett zusammen mit der ZEIT, die Tims Eltern uns mitgebracht haben.
Montag, 07.04.2008 (323. Tag)
Um 7.00 Uhr werden wir von starkem Regen geweckt. Das bedeutet, dass Tim erst einmal nicht lackieren wird. Statt dessen schnappt er sich das Maxi-Display, dass einfach nichts mehr anzeigen will. Nach verschiedenen erfolglosen Operationen entdeckt Tim, dass der Sockel eines Chips korrodiert ist. Das bekommt er aber in den Griff. Ich wasche und putze mich weiter durch das Chaos. In der Zwischenzeit hat Tim das Deckzelt über das Cockpit gezogen, das Holz ist getrocknet und er lackiert die abgezogenen Stellen. Dann lackiert er auch noch die Macken am Rumpf. Das geht nur vom Beiboot aus. Leider zickt das etwas und beim besteigen des Beiboots verschwindet es halb unter dem Steg und Tim kratzt sich die halbe Wade an den Seepocken blutig. Ich nehme mir den Herd vor. Schon lange funktioniert die linke Flamme nicht mehr und ich breche mir immer einen ab, Essen auf nur einer Flamme zu bereiten. Jetzt ist er dran. Ich muss eigentlich nur die Reinigungsnadel heraus nehmen und neu einsetzen. Das ganze dauert 15 Minuten, dann läuft der Herd wieder wie eine eins.
Schon wieder geht ein Gewitter über uns weg. Gut, dass der Lack in der Zwischenzeit angezogen hat. Der starke Regen versenkt in kurzer Zeit fast unser Dinghy. Wir kämfen gegen das Wasser an, dass durch das Loch im Deck (da wo der neue Stecker rein soll) und die Mastdurchführung kommt.
Heftiger Regen.
Bald ist 14 Uhr und ich mache mich, wie am Vortag verspochen auf den Weg nach Santa Marta. Im Gepäck habe ich einen Beutel mit drei T-Shirts und einem dünnen Pulli von mir. Im Dorf zeige ich den Adresszettel rum, aber jeder, den ich frage, bestätigt mir, dass das zu Fuß nicht zu erreichen ist. Bus dahin gibt es auch nicht und Taxi kostet 20 CUC. Das ist mir zu viel. Es muss sich wohl um ein Missverständnis handeln, denn die Frau hatte mir doch beteurt, in Santa Marta zu wohnen. In der Kirche hatte man mich noch angesprochen, ich solle das Gejammer der Frau nicht so ernst nehmen. Sie hätte Hilfe eigentlich nicht nötig. So nehme ich das als "Gottesurteil" und laufe unverrichteter Dinge nach Hause.
Ein neues Boot ist in die Marina eingelaufen: ein Kanadier. Genau genommen ist zurückgekommen, weil er vor Anker einen Blitzschlag hatte. Als wir das hören, laufen wir noch vorbei, um unsere Hilfe anzubieten.
In der Zwischenzeit kennen wir einige der Wachmänner und "unterhalten" uns auf Spanisch mit ihnen. Sogar Tims Sprachkenntnisse werden vom Zuhören immer besser. Einer vom Wachtrupp ist uns besonders ans Herz gewachsen. Jedesmal wenn er Dienst hat, bringt er uns etwas mit: ein Päckchen kubanischen Kaffee, einen "Rumflaschenständer" aus Holz, den sein Bruder selber gemacht hat, ein 3-Peso-Stück mit dem Bild von el Comandante darauf. Er meinte, viele Touris bohren sich ein Loch dadurch und benutzen das als Schlüsselanhänger. Als ich ihn frage, warum er das nicht an seinem Schlüssel hat, entgegnet er ganz ernst: Che sei in seinem Herzen. Er brauche ihn nicht am Schlüssel. Hui, soviel Passion..... Die Verherrlichung und Vermarktung von Che ist allgegenwärtig. Von Plakaten, Kaffeetassen, T-Shirts und sogar ganzen Hauswänden schaut sein Antlitz verträumt in die Ferne. Auf uns wirkt dieser Personkult etwas befremdlich, denn soweit wir es begriffen haben war "el Comandante" ein ziemlicher Fanatiker.
Dienstag, 08.04.2008 (324. Tag)
Ich wache schon sehr früh auf und mir ist schlecht. Ich traue mich gar nicht, mich zu bewegen, weil ich Angst habe, dass ich mich übergeben muss. Den ganzen Tag bleibe ich im Bett mit kleinen Unterbrechungen, die ich auf Klo verbringen muss. Die ZEIT verkürzt mir die Zeit etwas. Aber das Fieber macht mich sehr schlapp und ich schlafe viel. Tim schleift mal wieder und lackiert. Als es draussen zu ungemütlich wird wegen des Regens sitzt er drinnen und reaktiviert das Laptop, das Tims Eltern uns wieder repariert mitgebracht haben. Dann wird noch an der Homepage geschliffen: wie ihr seht, befindet sich in der Übersicht neben jedem Eintrag jetzt ein kleines Symbol. Klickt darauf und ihr könnt den entsprechenden Eintrag als PDF-Datei herunterladen. Von Tims Aktivitäten bekomme ich wenig mit. Nachmittags fühle ich mich etwas besser und wage es, eine Pampelmuse zu essen. Leider kommt sie ein paar Stunden später oben wieder raus und dass alles ohne Seegang.... Gut, essen ist also vorerst nicht angesagt. Nach so viel Schlafen fürchte ich, dass es eine schlaflose Nacht wird. Vorsichtshalber lege ich mich in den Salon, damit ich Tim beim Lesen nicht störe.
Mittwoch, 09.04.2008 (325. Tag)
Wider erwarten schlafe ich wie ein Stein und fühle mich heute viel besser. Ich habe zwar einen schlimmen Schädel, aber solange ich mich ruhig verhalte, lässt es sich aushalten. Irgendwie ist alles klebrig und ich mache wieder im Bikini die Stegdusche zur Freude des Wachhabenden, der gleich mal vorbei kommt. Ich muss sagen, dass ich mich über so viel Dreistigkeit maßlos ärgere. Was denken die sich eigentlich? Bin ich ein Tier im Zoo, oder eine chinesische Vase, die man im Museum betrachtet. Aber wieder bin ich so sprachlos, dass ich mich nicht wehre. Selber Schuld! Hoffentlich lerne ich das noch.
Auf Tims Anregung hin trinke ich ein paar Tütchen von der Elektrolytlösung aus unserem Arzneikoffer und die Kopfschmerzen verschwinden langsam. Ich putze ein bisschen, aber richtig fit bin ich noch nicht. Tim lackiert (wie immer) und tippt ein bisschen Tagebuch. Derweil kommt das dicke Guardaboot reingefahren und die machen mal wieder Monsterwellen. Das bringt Tim jedesmal auf die Palme. Als sie sich über Funk nicht melden, stiefelt er los, um sich bei ihnen persönlich zu beschweren. Zum Glück kann ihn unser Lieblings-Sicherheitsmann gerade noch aufhalten, denn er meint, die seinen nicht zimperlich. Toternst versichert er uns, dass die Jungs auch nicht belästigt werden dürfen, denn sie sind ja soooo wichtig. Aha, sie sind wichtig. Ich glaube, die sind nur dazu da, aufzupassen, dass nicht ein paar Kubaner "rüber machen". Keine Ahnung, was im Land so erzählt wird. Vielleicht von irgendwelchen fiktiven Angriffen des allgegenwärtigen Feindbildes Amerika, dass die gute Guarda erfolgreich abgewehrt hat. Aber jetzt wird es wieder politisch und wir wurden gewarnt, nie über Politik in Gegenwart von Kubanern sprechen. Also hält Tim den Mund. Mich erschreckt nur der große Respekt, oder sollte ich besser sagen "Angst", die vor den Guardaleuten hat. Tja, im Land der Gleichheit sind eben manche gleicher als andere. Naja, bei Wikipedia finde ich unter Kommunismus Folgendes:
"Seit Karl Marx werden diese frühsozialistischen Gleichheits- und Demokratisierungsbestrebungen, die sich auch auf die Ökonomie erstreckten, als Utopischer Sozialismus zusammengefasst." Da bin ich ja beruhigt, Gleicheit ist Utopie, da geht es auch an, dass der Guarda-Mitarbeiter eben über dem Wachmann der Marina steht.
Schon sind die Schäden grundiert.
Nachmittags bin ich soweit wieder hergestellt, dass ich mich mal raustraue. Tim und ich laufen zusammen zur Tourihalbinsel, um ein Internetcafe zu besuchen. Allerdings habe ich eine Klorolle im Rucksack, falls der Weg doch zu weit sein sollte. Alles geht gut und wir erreichen unser Ziel ohne Zwischenfälle. Leider sind alle vier Computer belegt und W-Lan gibt es hier nicht. Wir gehen an den Strand und suchen eine Bar, an der wir etwas zu trinken bekommen können. Gerade als wir uns mit unserem Wasser im Schatten niedergelassen haben, bauen sich vor uns zwei Kubaner auf bewaffnet mit Gitarren und Bongos und beginnen "für uns" zu spielen. So bekommen wir etwas über "viele Küsse" und "el Comandante" zu hören. Sie singen und spielen wirklich gut, trotzdem fühlen wir uns etwas genötigt. Als Dankeschön geben wir ihnen einen Mojito aus und verschwinden wieder zum Internetcafe. Diesmal haben wir Glück und bekommen zwei freie Rechner. Komplizierter kann es nicht sein: Statt dass sie uns die Karten mit dem Code in die Hand drücken, sitzt hinter dem Schalter eine Frau, die sie für uns freirubbelt, damit dann eine andere Frau den Code für uns eintippen kann. Auch eine Art, gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen. Nach einer halben Stunde ist unsere Zeit abgelaufen und mein Nacken wieder verpannt. Ich werde immer so nervös, wenn das Netz so langsam ist. Wir machen uns auf den Heimweg. Nach einer guten halben Stunde bemerken wir, dass wir den USB-Stick auf dem Rechner stecken lassen haben. Also nochmal zurück. Wir haben Glück im Unglück: eigentlich ist schon geschlossen, aber sie lassen uns noch herein und da steckt der Stick noch brav. Müde und hungrig brechen wir wieder auf. Diesmal mit dem Ziel, unterwegs einen Hamburger zu verspeisen. Dabei ist unser momentanes Auswahlkriterium für eine geeignete Snackbar: lauert uns hier keine Band auf? Nach mehreren Anläufen (Küche schon zu, Wirt unterhält sich lieber, als uns zu bedienen...) entscheiden wir uns, zur Snackbar vor der Marina zu gehen. Zwischendurch pfeift Tim einem Hündchen hinterher, was uns von da an folgt. Immer wenn wir uns umdrehen, legt es sich unterwürfig auf den Boden. Es winselt und macht in jeder Hinsicht den Eindruck eines einsamen Hundes. Tims Herz wird weich und er streichelt die kleine schwarze. Danach ist sie wie ausgewechselt. Stolz trippelt sie vor uns her und achtet darauf, dass wir ihr folgen. Wenn wir jetzt nicht in Kuba wären sondern in Deutschland, hätten wir die kleine "adoptiert". Uns plagt das schlechte Gewissen. Vor der Marina "schleichen" wir uns in die Pizzaria und lassen sie draussen sitzen. Heimlich beobachten wir sie durch die Scheibe. Lange bleibt sie da und wartet auf uns, bis sie dann mit einem anderen Mann durchbrennt. Wir sind erleichtert und können in Ruhe zuende essen. Müde vom vielen gehen fallen wir früh ins Bett.
Donnerstag, 10.04.2008 (326. Tag)
Der Tag beginnt mit Haare schneiden. Tim hat mittlerweile eine richtige Matte auf dem Kopf und die kommt jetzt runter.
Vorher - Nachher
Ich wasche mir die Haare in einem Eimer auf dem Steg. Es folgen wieder diverse Bootsarbeiten. Während Tim die Schäden am Rumpf wieder rot lackiert und die Fock näht, sitze ich unter Deck, tippe Tagebuch, suche unsere alte Antenne für Paddy und Avril (deren Boot vom Blitzschlag getroffen wurde) und reinige den Filter für das Motorkühlwasser. Ich verstaue noch die Kuba-Handbücher und "abgesegelten" Seekarten im Heck und krame den Reeds hervor, den wir ab den Azoren wieder brauchen können.
Tim näht die Fock.
Der Filter für das Motorkühlwasser erinnert an eine dicke Gemüsesuppe.
Heute machen wir früher Feierabend und Tim übt Gittarre auf dem Steg. Zum Abendessen werden wir als Dankeschön für die Antenne von Paddy und Avril zum BBQ eingeladen. Wir hatten mit Kottis gerechnet, aber es erwartet uns feinstes Roastbeef mit Salat und gegrilltem Gemüse. Besser hätte man es in einem guten Restaurant nicht bekommen können. Wir hauen uns die Bäuche voll und unterhalten uns lange. Sie erzählen leider von nicht so schönen Erfahrungen: von Touris (Männern), die regelmäßig nach Kuba segeln wegen der Prostituierten, die hier viel günstiger seien und ein großes "Angebot" hätten, von Verkupplungen zwischen 50jährigen Männern und 18jährigen Kubanerinnen...Bei manchen Familien ist die Verzweiflung wirklich groß und sie geben gerne ihre gerade vollreife Tochter hin für ein "Ticket" in die freie Welt.
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