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Von Sines nach Madeira


Freitag, 21.09.2007 (125. Tag)

Die Schaumisolation, die wir in Oeiras um die oberen Wanten gezogen haben, rappelt als wir aufwachen. Bei achterlichen Winden liegt die oberste Latte auf den Oberwanten auf und hatte sich die Lattentasche schon durchgescheuert. Der Segelmacher hat ein schweres Stück Dacron aufgenäht und mit den Schaumrollen liegt das Segel jetzt wie auf Watte. Bei der leichtesten Brise fangen die Rollen allerdings an zu schwingen und man hört das Rattern im ganzen Boot. Aber egal, denn heute bedeutet das: Es gibt Wind! Der hat micht heute Nacht leider auch durch's offene Luk "beglückt", so dass mein Nacken völlig steif ist. Ich kann den Kopf einfach nicht drehen und bewege mich wie ein Greis. Bis auf Madeira werde ich damit meinen "Spaß" haben.
In der Bibliothek von Sines ist der Internetzugang kostenlos, also ziehen wir uns nochmal die neusten Wetterdaten. Es sieht gut aus. Das lokale Minitief, was für die Flaute sorgte hat sich vom Acker gemacht und der Portugalpassat (Nordwind) setzt sich wieder durch. Er biegt um die SW-Ecke von Spanien herum ins Mittelmeer ab, d.h. das erste Stück werden wir NW-Wind (=halben Wind) haben. Je weiter wir rauskommen (Kurs: 230 Grad), desto mehr dreht der Wind auf N und am Ende sogar auf NO. Außerdem soll seine Stärke durchgehend anhalten, uns also mit 3-4 Bft erfreuen. Klasse, das sind Bilderbuchbedingungen!
Beim Herunterladen der Grib-Datei gibt es eine kleine Überraschung: Mein Memorystick ist inzwischen völlig verwarzt mit Viren, die er sich wohl am Rechner in Oeiras eingefangen hat. Die nette Dame im Rechnerraum holt gleich noch die Expertin dazu. Es wird ein riesen Trubel veranstaltet, aber am Ende ist der Stick bereinigt. Ab jetzt achten wir mehr auf "Safer USB"...
Am lokalen Markt kaufen wir nochmal frisches Obst und Gemüse und bei einem Muttchen hinter der Bibliothek gibt's 14 Feigen für einen Euro. Sie sind heftigst reif und wir werden den Rest des Tages schwelgen. Solche süße Feigen habe ich noch nie gegessen.
Um 12:00 ist großer Abschied von Ulrike und Klaus, die uns zum Abschied noch einen Sekt zustecken, den wir nach der Ankunft öffnen sollen. Eine ganze große Flasche, da werde ich wohl den Rest der Zeit auf Madeira im Suff verbringen. :o)
Draußen herrschen Bilderbuchbedingungen. Wir haben tatsächlich halben Wind aus NW, Stärke 3 und unter der HA-Fock und vollem Groß tingeln wir mit guten 6 kn vor uns hin. Die Welle ist kleiner als 1 m und ich kann mich entspannen, von Seekrankheit keine Spur.
Mittags kocht Steffi Nudeln mit einer Gemüse-Tomatensauce. Jetzt beginnt unser Müllmanagement: Auf langen Überfahrten wird der Abfall zu einem Problem. Nicht so sehr wegen seines Volumens, sondern wenn er anfängt zu stinken. Bioabfälle wandern natürlich direkt über Bord, aber was ist mit dem Rest? Dosen, Plastikverpackungen, Kartons? Es gibt Besatzungen, die alles beschweren und im Meer versenken. Wir haben inzwischen erfahren, dass dies in manchen Büchern sogar empfohlen wird, da Länder wie die Karibik mit dem Müll der ankommenden Yachten völlig überfordert sind. Trotzdem finden wir das Versenken des Mülls eine riesige Sauerei und beschließen, ihn zu sammeln. Und damit er nicht stinkt, wird jedes Teil ausgewaschen und getrocknet. Nach diesem Essen hängt somit der ausgespülte Karton der passierten Tomaten in der Reling und wird nach und nach durch neue Dinge ergänzt. Sieht ja zum Glück keiner, dass wir hier unseren Müll an der Reling spazieren fahren.
Auch mit dem Wasser geizen wir ab jetzt wie verrückt. Die 4 Tage nach Madeira sind zwar diesbezüglich noch kein Problem, aber diese Überfahrt ist unsere Generalprobe für die zukünftigen Passagen, die noch einiges länger werden. Der Wassertank faßt 80 l und mit den beiden Kanistern von Dirk und Stine kommen wir somit auf insgesamt 120 l Brauchwasser. Alles was wir konsumieren ist Mineralwasser aus dem Supermarkt, denn das gechlorte Wasser aus der Leitung ist in diesen Regionen nicht wirklich genießbar. Gespült wird diesmal mit dem heißen Nudelwasser, ansonsten halt mit Salzwasser. Das hat zur Folge, dass die Spültücher nach und nach vom Salz durchsetzt sind, aber was soll's? Am Ende ist unser Verbrauch an Süßwasser extrem reduziert und zurück bleibt bei uns damit ein gutes Gefühl, dass wir auf längeren Passagen wohl keine Probleme haben werden.
Nachmittags frischt der Wind schlagartig auf 5 Bft auf. Wir wechseln zur kleinen Fock, binden ein Reff ins Groß und fliegen plötzlich mit 7,8 kn los. Im Prinzip ein herrlicher Ritt, aber bei diesen Langstrecken wird die hohe Geschwindigkeit schnell anstrengend. Es ist laut im Boot wenn man mit so hoher Geschwindigkeit durch die Wellen kracht und die Bewegungen werden ruppig und unvorhersehbar. Es ist unglaublich anstrengend, sich durch's Boot zu hangeln, ja sogar einfach nur still zu sitzen wird zum Sport.
Das Meer ist durch den Wind frisch aufgewühlt. Da ist nichts mit schöner langer Atlantikdünung. Der alte Schwell und die neue Windsee kreuzen sich und es ist fies kabbelig wie auf der Nordsee. Manche Wellenkämme brechen und wenn wir ihnen im falschen Moment begegnen, trifft uns die volle Breitseite und fliegt massenhaft Gischt über's Boot. Richtige Sturzbäche strömen an der Baumnock aus dem Groß und derjenige, der Wache geht, hat draußen nicht viel zu lachen.
Abends spüre ich die ersten Anzeichen der Seekrankheit. Diesmal stehen uns noch drei bis vier Tage bevor, also will ich es lieber nicht aussitzen. Ich muss fitt sein und schmeiße mir vorsorglich eine Pille ein. Abends ist dann Steffi dran, aber bei ihr geht die Seekrankheit zusammen mit einem Schwall halbverdauter Nudeln mit Tomatensauce über Bord und damit war's das. Den Rest der Überfahrt ist sie topfitt und während ich die ersten Tage eher träge durch's Leben gehe, organisiert Steffi das Essen und schmeißt den gesamten "Haushalt". So doof es ist, dass ich mit der Seekrankheit leben muss, so gut ist es, dass mit Steffi wenigstens einer von uns aktiv bleiben kann.
Um 20:00 bricht die Nacht herein und weiterhin stürmen wir rasendschnell auf unseren 230 Grad dahin. Da der Wind später über N auf O drehen soll, fahren wir etwas mehr Tiefe als nötig. Das ist aber auch aus einem weiteren Grund angebracht, denn so umfahren wir die Gorringe Ridge, ein "Höhenzug" unter Wasser, bei dem die Tiefe von 4000 auf bis zu 20 m abnimmt. Weiter südlich kommt dann noch die Unicorn Bank, auch wieder so ein Unterwasserberg. Die Wellen sind momentan zwar nicht sehr groß, aber mit dem alten Schwell, den man nur daran bemerkt, dass der Horizont ab und zu hinter einem Wasserberg verschwindet kann sich an diesen Stellen wahrscheinlich schon eine fiese, wenn nicht sogar brechende Welle ergeben. Was hier los ist, wenn es mal stürmt, wollen wir uns gar nicht vorstellen.
Mit der Nacht wird es zusehends ungemütlicher. Durch das Sternenlicht ist zwar alles völlig ausreichend beleuchtet, aber die Wellen wirken größer und man erkennt sie eben nicht so gut, dass man weiß, wann wieder eine Dusche ansteht. Ich schlummere in meiner Freiwache gemütlich vor mich hin, als Steffis panische Rufe "Ein Fisch! Ein Fisch" mich aufschrecken. Ein 20 cm langes Exemplar (Details erkennen wir im Dunkeln nicht) ist von einem Brecher in die Plicht geschwemmt worden und veranstaltet einen mordsmäßigen Radau. Bemerkt hat Steffi seine Anwesenheit zunächst durch seinen Geruch und dachte schon, wir würden uns einem alten Netz nähern. Dann hörte sie aber das wilde Schlagen der Schwanzflosse, die es einem nicht gerade einfach macht, den kleinen Kerl wieder ins Meer zu befördern.
Kurz vor meiner Hundewache ruft Steffi mich dann ein zweites Mal raus. Ein Containerfrachter kreuzt unseren Kurs im flachen Winkel und kommt uns sehr nahe. Zumindest wenn man im Dunkeln die Abstände nicht so gut einschätzen kann. Wir leuchten mit der Taschenlampe in unser Segel und fallen ein wenig ab. Letztendlich geht er dann aber doch weit vor uns lang. Wenn er uns gesehen hat, war es für ihn sicher kein Problem die beiden Kurse einzuschätzen. Ob er uns aber überhaupt bemerkt hat, darüber sind wir uns gar nicht so sicher. Wir haben zwar einen Radarreflektor und die Beleuchtung ist natürlich eingeschaltet, aber ob er unser Echo bei diesen Wellen überhaupt wahrnimmt oder der Wachhabende unsere kleine Funzel überhaupt sieht, wenn sie unterhalb des Horizonts ist, darüber machen wir uns lieber keine all zu großen Gedanken. Es ist einfach besser, gut Ausschau zu halten.


Samstag, 22.09.2007 (126. Tag)

Die Nachtwache
Die Uhr glast vier Doppelschläge, Mitternacht. Richtig gut habe ich nicht geschlafen, da immer wieder Wellen seitlich vor die Bordwand knallen. Außerdem ist es ganz schön kalt. Jetzt war ich gerade nochmal eingeschlummert, dabei geht genau in diesem Moment meine Wache los! Nicht die feine Art, Steffi warten zu lassen, doch auf dieser Überfahrt sind wir nicht so fertig wie bei der Querung des Kanals und begegnen damit Verzögerungen bei der Wachablösung einiges entspannter.
Ich horche kurz in mich hinein, aber da ist nichts. Ich fühle mich gut und bin fitt. Habe vor allem einen unglaublichen Kohldampf auf salzige und fette Nahrung. Das bedeutet, dass die Pille von gestern Abend angeschlagen hat und hervorragend wirkt. Gut, dass Steffi mir eine Chipstüte an den Niedergang gelegt hat, die werde ich gleich mal inhalieren.
Wir teilen uns die rechte Salonkoje und um die Decke etwas zu lüften schlage ich sie zurück, löse mit einem Zug an der Strippe das Kojensegel und setze mich auf. Den Geräuschen und Apelias Bewegungen nach rasen wir immer noch mit gut 7,5 kn durch die Nacht. Der Wind dreht allerdings schon langsam auf Nord und die spontanen Bocksprünge von gestern fehlen.
Das kleine blaue Licht vom Autoradio reicht aus, um den gesamten Salon in fahles Licht zu tauchen. Am Ofen und am Mast klettere ich in den Bug zum Klo, wo es stockfinster ist. Inzwischen kennen wir uns hier aber aus und jeder Handgriff sitzt.
Das Anziehen ist inzwischen auch keine große Turnübung mehr. Mit der Zeit lernt man seine besten Ecken zum Verkeilen kennen. An den Säulen im Salon kann man sich aufgestellt anlehnen. Den Rücken gegen das Dach verkeilt, kann man so schon einiges an Bocksprüngen abfedern. Meine Klamotten sind alle leicht klamm. Zum großen Teil durch die Schwitzerei im Ölzeug. So wie es sich anhört kommt inzwischen weniger Wasser über, aber es hilft nichts. Ab und zu findet eben doch mal Gischt ihren Weg ins Cockpit. Thermounterwäsche, Jeans, Fleecepulli und dicke Socken liegen alle an ihrem bestimmten Platz und sind schnell angezogen. Das Gewürge ins Ölzeug ist dagegen immer eine kleine Schinderei. Erst die Stiefel und Latzhose mit ihren Trägern, die überall hängen bleiben, dann die Jacke und über alles die Weste mit den Lifelines. Da kommt einiges an Gewicht zusammen, aber gerade auf den Nachtwachen gibt es keine Entschuldigung: Wer raus geht muß sich anleinen.
Etwa zehn Minuten dauert das Anziehen. Noch eine Coladose und die Chipstüte rausgelegt, dann schiebe ich das Luk zurück und strecke den Kopf hinaus in den frischen Wind. Was für ein toller Anblick: Die Bewölkung ist aufgerissen, die Sterne funkeln wie Diamanten, der halbvolle Mond ist auch schon aufgegangen und strahlt hell wie ein Spotlight. Man könnte fast lesen, so hell ist es und wir haben Mitternacht! Trotz dieser Festbeleuchtung hinterlassen wir einen phosphoreszierenden Schweif im Wasser und schwirrt es in unserem Heckwasser vor "Glühwürmchen". Von Zeit zu Zeit blitzt es wie Wetterleuchten. Vielleicht haben wir in solchen Momenten Quallen übergemangelt?
Wie immer nach der Wache ist Steffi richtig müde und verabschiedet sich zügig nach unten. Durch das Anziehen bin ich inzwischen wach, lehne mich entspannt auf der Bank zurück und gucke in den Himmel. Was für ein Sternenmeer! Wenn man den Himmel auf diesen Überfahrten jede Nacht zur selben Zeit sieht, wird plötzlich deutlich, wie sich alles bewegt. Allen voran der Mond, der langsam von der Sonne abgehängt wird, damit immer voller und dann wieder schmaler wird, bis sich beide quasi in Deckung befinden. Dann aber auch die Sterne. Ich kenne nicht viele Sternbilder, aber den Wagen zu unserer Rechten erkenne ich natürlich. Orion kommt immer erst gegen 21:00 hinter uns in Sicht und wandert dann im Laufe der Nacht über uns rüber. Und dann die Milchstraße. So deutlich wie hier habe ich das Band noch nie gesehen.
Mit einem leisen Zischen reiße ich die Cola auf und süffele die flüssige Energie langsam in mich hinein. 23 Grad hat das Wasser inzwischen und damit auch unser "natürlicher" Kühlschrank an der Außenhaut. Nicht optimal für Cola, aber nach meiner gestrigen Nahrungsverweigerung freue ich mich über jeden Geschmack und lasse mir auch die Carefour-Chips richtig munden. Was für ein Genuß.
Was war das? Ein Zischen, wie ein Atemzug. Könnten das vielleicht endlich mal wieder Delphine sein? Wir haben schon lange keine mehr gesehen, aber auch diesmal war es nur ein brechender Wellenkamm. Gerade im Dunkeln foppt einen das Meer schnell. Da man eben doch nicht so gut sieht, sind scheinbar alle anderen Sinnesorgane auf maximalen Empfang geschaltet und man muss sich manchmal schon zusammenreißen, um nicht allzuviel zu fantasieren. Wenn neben uns ein Wellenkamm bricht und das Meeresleuchten funkelt, sehe ich auch schnell Fische, wo gar keine sind. Es ist nur weites, leeres und tiefschwarzes Wasser, alles im grünen Bereich.
Ich schaue auf die vom Mond erleuchtete Wasserfläche vor uns, aber Details sind doch nicht zu erkennen. Man muss es sich eingestehen, im Prinzip machen wir hier einen Blindflug. Also ist es egal, dass die Windfahne die ganze Zeit ihre (hervorragende) Arbeit macht und man nur selten mal nach vorne blickt. Die Gruselstories über treibende Container und Wale sind uns natürlich bekannt, aber nüchtern betrachtet sind diese Kollisionen statistisch unwahrscheinlich und wenn man so wie wir jetzt durch die Nacht segelt, wird man auch ein wenig fatalistisch. Was bleibt einem auch anderes übrig, die Nacht mit geborgenen Segeln durchzudümpeln ist einfach keine Option.
Nachdem die Coladose geleert ist, rutsche ich im Cockpit ganz nach achtern, wo man sich quer hinlegen kann. Als Kopfkissen benutzen wir den einen der zwei kleinen Fender, die wir noch vom Katamaran übrig haben. Unsere Erinnerung an die herrlichen Segelstunden auf zwei Rümpfen. Auf dem Rücken liegend blicke ich in diesen grandiosen Himmel. Dass man dann Sternschnuppen sieht ist so gut wie garantiert und nach der fünften höre ich auf zu zählen. Sie sind ganz unterschiedlich. Manche sind nur ein kurzer Strich und man ist sich gar nicht sicher, eine gesehen zu haben. Andere ziehen dagegen richtig lange Schweife und man kann sie in aller Ruhe verfolgen.
Etwa jede viertel Stunde setze ich mich auf und werfe einen Blick in die Runde. Einfach nur schnell Herumgucken, damit ist es allerdings nicht getan. Auch wenn man ihn nicht merkt, es rollt ein großer Schwell unter uns durch. Ganz lange Wellen, Zeugen eines weit entfernten Sturms. Man registriert sie erst, wenn man -wie ich jetzt- versucht, den Horizont abzusuchen. Was man eben noch gesehen hat verschwindet im nächsten Moment hinter einem Wasserberg und man muss ein paar Sekunden warten, bis man wieder gucken kann. Um den Horizont einmal abzusuchen braucht es somit immer so seine Zeit. Pro Wellenberg schafft man etwa einen Quadranten. Mit meinem steifen Nacken geht es noch etwas mühsamer, sprich langsamer. In diesem Gebiet sehen wir allerdings nur wenige Schiffe. Yachten schon gar nicht, nur eben pro Nacht etwa ein bis zwei Frachter, die meistens allerdings irgendwo am Horizont passieren.
Mit Sternegucken (regt zum Philosophieren an), Träumen und Ausschau halten vergeht die Wache meistens ohne große Langeweile. Zwischendurch nicken wir auch mal ein, aber man steht doch leicht unter Strom und bisher sind wir immer noch nach 15 min wieder aufgeschreckt. Kurz vor dem Ende meiner Wache schalte ich den GPS ein und male ein neues Kreuzchen in den Übersegler. Wieder sind wir 1,5 cm weiter gekommen. Wenn es so weiter läuft, schaffen wir Madeira in weniger als vier Tagen. Die Prognosen sahen dafür sehr gut aus und so freut man sich, auch wenn die Abstände zwischen den Kreuzchen verglichen zur Gesamtdistanz eher klein sind.
Steffi, meine seefeste Powerfrau, kommt schon vor der offiziellen Wachablösung raus. Ich soll mich schon hinlegen, aber das läßt mein Stolz dann doch nicht zu. So sitzen wir noch eine viertel Stunde zusammengekuschelt in der Plicht und genießen die Sterne. Einfach so, ohne viel zu reden. Diese gemeinsamen Momente in der Nacht gehören zu unseren Sternstunden.

Der Rest des Samstags vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Als die Sonne in meiner zweiten Wache aufgeht staunen wir allerdings über das Blau des Wassers. Das stellt wirklich alles in den Schatten, was wir bisher gesehen haben. Das Wasser leuchtet förmlich in einem sowas von unglaublich tiefen und strahlenden Blau, dass es eigentlich gar nicht geben kann. Wir gucken uns die Augen aus und versuchen abzuschätzen, wie tief man wohl gucken kann, aber wir können keinen Anhaltspunkt entdecken. Das Meer scheint wie ausgestorben, nur einmal springt neben uns irgend ein Fisch.
Gegen Mittag haben wir reinen Nordwind, der auf 4 Bft abgenommen hat. Es wird merklich ruhiger an Bord, aber wir machen noch um die 7 kn, also kein Grund zum Ausreffen. Ich merke allerdings, dass ich bisher noch nicht gut geschlafen habe und döse in meinen Wachen zwischen dem Herumgucken immer wieder in meiner "Hibernationsstellung" hinten im Cockpit ein. Auch die Seekrankheit läßt mich noch nicht so ganz los und ich habe wieder keinerlei Appetit. Steffi reißt sich dagegen nachmittags zusammen und macht Klarschiff. Sie räumt unter Deck auf, spült, wäscht sich und kocht mir Kartoffeln, die ich in Zeitlupentempo in mich hineinstopfe. Aber sie tun gut und nach einer kleinen Verdauungspause schaffe ich sogar eine Ladung Nachschlag.

Im "Hibernationsmodus" verbringe ich meine Wache.



Sonntag, 23.09.2007 (127. Tag)

In der zweiten Nacht scheinen wir langsam unseren Rhythmus zu finden. Vor allem die besseren Bedingungen helfen dabei. Es ist wärmer und durch den achterlichen Wind bewegt sich Apelia viel ruhiger. Unter Deck ist es damit stiller und man schläft einiges besser. Abends mußte ich zwar nochmal eine Pille nehmen, aber es war die letzte. Den besseren Schlaf setzenw ir sofort in bessere Stimmung und Verfassung um.
Das Meeresleuchten ist noch intensiver geworden und nachdem der Mond um 5:00 untergegangen ist, fällt es noch stärker auf. Steffi hat ihre Angst vor dem Segeln im Dunkeln überwunden und genießt die Nachtwachen unter diesen Bedingungen regelrecht.
Unsere südliche Position merken wir inzwischen auch am Sonnenstand. Sie geht um 20:00 unter und geht etwa um 8:00 wieder auf. Die Dämmerungsphasen sind extrem kurz, was uns irgendwie fehlt. Dieses schnelle "Anknippsen" des Lichts ist einfach nicht unser Ding. Ach ja, und wenn die Sonne scheint, dann brennt sie uns richtig auf den Pelz. Bisher war es tagsüber meistens bewölkt, aber heute verziehen sich die Wolken nach und nach und es wird richtig heiß. Perfektes Wetter um das klamme Ölzeug rauszuhängen und nach und nach wird es an der Reling immer voller und segeln wir einen Vorhang durch die Gegend, in dem von der Unterwäsche bis zum Pulli alles vertreten ist.
Auch unsere Hüllen fallen nach und nach und hätten wir daran gedacht, wäre jetzt mal wieder ein skandalöses Foto fällig. ;o) Aber so verbringen wir die Zeit lieber mit ausgiebiger Köperpflege, schließlich ist heute Sonntag!
Mittags kommt uns ein Frachter entgegen. Es ist die Punta de Sao Lourenco und sie liegt genau auf unserer Kurslinie. Wahrscheinlich ist es der Versorgungsfrachter von Madeira, der jetzt auf dem Rückweg ist. Erst knapp eine Meile vor uns weicht er aus und passiert uns in 200 m Abstand. Der Wachhabende steht auf der Brückennock und winkt sich die Seele aus dem Leib. Bei soviel Sympathie der Großen gegenüber uns Yachten wird uns ganz warm um die Herzen.

Madeiras Versorgungsfrachter auf Gegenkurs.


Der Wind weht inzwischen wie angekündigt aus NO und wir segeln unter Schmetterling. Meine Motivation reichte morgens noch nicht zum Ausreffen, aber abends reicht es Steffi, da wir mit 5 kn mehr durch die Wellen eiern statt zu segeln. Nach dem Ausreffen haben wir wieder 6 kn auf der Logge und Apelia liegt deutlich ruhiger. Hätten wir das mal eher getan! Der eine Knoten mehr an Geschwindigkeit bringt einem pro Etmal auch gleich mal 24 Meilen weiter...

Wir trocknen unseren Müll.




Montag, 24.09.2007 (128. Tag)

Es wird deutlich wärmer und heute Nacht habe ich mir die Thermounterwäsche sparen können. Steffi trägt dagegen immer noch ihren Fendersocken. Wir hatten in Vigo einen Stoffschlauch von Plastimo gekauft, um die Fender neu einzupacken und das übriggebliebene Stück verwendet Steffi inzwischen als kombinierte Schal-Mütze.
Gegen Mittag darf ich "Land in Sicht" rufen. Ganz plötzlich ist es aus dem Dunst aufgetaucht und wir sehen schroffe Berge. Es ist ein herrliches Gefühl, das Ziel plötzlich vor Augen zu haben und wir verbringen einige Zeit damit, in der Plicht zu sitzen und auf den Schatten am Horizont zu starren.

Land in Sicht!


Wir rätseln, welcher Teil wohl zu Porto Santo und welcher zu Madeira gehört, aber von hier aus fehlt uns jegliches Gefühl für die Dimensionen. Wir können die beiden Inseln einfach nicht unterscheiden. Erst am Spätnachmittag gibt es keinen Zweifel mehr: Was wir da vor uns sehen ist NUR Porto Santo. Madeira liegt noch 30 nm voraus und ist komischer Weise einfach nicht zu sehen. Hätten wir keinen GPS würden wir unseren Augen nicht trauen, aber wir können uns ja relativ sicher sein und halten auf das Grau vor uns zu.
Hinter uns am Horizont sehen wir dann endlich mal eine Yacht. Es muß ein riesiges Ding sein, was seinen weißen Spi gesetzt hat, denn es kommt kontinuierlich näher. Erst kurz vor dem Überholen wird deutlich, dass wir hier eine dieser kleinen Rennschleudern des Minitransat hinter uns haben. Ein 6,5 m langer und völlig übertakelter Floh, der einhand gesegelt wird und mit einem gigantischen Genacker zum Fliegen ausgerüstet ist. Der Wind reicht allerdings so gerade eben nicht zum kontinuierlichen Gleiten und so überholt uns die Pogo nur im Schritttempo.
Trotzdem sind wir mehr als beeindruckt von der seglerischen Leistung, die diese (meist) Nachwuchssegler hier mit relativ kleinem Budget hinlegen. Ganz alleine diese "Jollen" quer über den Atlantik zu steuern, das ist vor allem körperlich eine für uns unfaßbare Leistung. Vor allem, da das ganze ja im Rahmen eines Rennens stattfindet. In diesem Moment befindet sich der da drüben zwar im Endspurt auf Funchal zu, aber er hat trotzdem noch einiges an Strecke vor sich und hantiert die gesamte Zeit mit der Groß-, Genackerschot und dem Ruder, um die Kiste am Laufen zu halten. Chapeau!

Pogo 650 vom Minitransat.


Erst in de Abenddämmerung löst sich vor uns das Kap Sao Lourenco aus dem Dunst und in der einbrechenden Dunkelheit werden die Lichter der Siedlungen sichtbar. Wir werden allerdings noch bis Mitternacht brauchen, also zwinge ich mich in der Freiwache nochmal in die Koje. Um 23:00 setze ich mich dann aber doch an die Pinne und klinke zum ersten Mal seit Sines die Windfahnensteuerung aus.
Das Kap liegt jetzt zum Greifen nahe und vor lauter Vorfreude merken wir nicht, dass die Wellen um uns herum immer steiler werden. Es liegt am Meeresboden, der hier wegen eines Rückens zwischen Madeira und den Islas Desertas von über 1000 m Tiefe auf 90 m ansteigt. Es gibt zwar keine Brecher, aber die 3 m hohen Wellen werden plötzlich unglaublich steil und ich habe ordentlich zu tun, um uns auf Kurs zu halten. Im Dunkeln wirkt natürlich alles nochmal extra gruselig und Steffi, die aus dem Niedergang schauend die Berge auf uns zurollen sieht sagt mir, ich solle blos nicht nach hinten schauen. Zur Sicherheit verrammeln wir dann doch den Niedergang und machen uns für eine feuchte Überraschung bereit.
Die bleibt aber zum Glück aus und bis auf ein paar spektakuläre Surfs runden wir ohne besondere Vorkomnisse das Kap und erreichen ruhiges Wasser. Jetzt beginnt allerdings der Wind zu zicken, da wir uns in der Abdeckung des Landes befinden, das sich hier in Form einer Landzunge ins Meer erstreckt. Von Flaute bis schlagartig einsetzende 6er Böen müssen wir alles über uns ergehen lassen und starten irgendwann entnervt den Motor und bergen die Segel. Auf der letzten Meile so ein Hickhack, das muß nicht sein. Beim Bergen der Segel hat sich der Schalter von Steffis Rettungswestenbeleuchtung gelöst und ich sehe sie blinkend herumlaufen. Damit wissen wir also, dass es die Lampen noch tun.
Um Punkt 24:00 Uhr laufen wir in die Marina Quinta do Lorde ein und legen uns hinter eine riesengroße Yacht an den erstbesten Platz. Auch hier gibt es wieder eine 24h Bewachung und der Wachmann begrüßt uns freundlich, läßt uns aber ansonsten in Ruhe. Wir sind völlig glückseelig und lassen die ersten Minuten völlig gebannt die absolute Stille auf uns wirken. Die ist allerdings relativ, denn den atlantischen Schwell merkt man hier deutlich. Apelia liegt relativ ruhig, aber die dicken Pötte vor uns schwojen wild hin und her und rucken an ihren Festmachern.
Wir schnappen uns einen Piccolo (heute ist unser Hochzeitstag!) und spazieren euphorisch die Mole entlang. Die Aussicht morgen im Licht muss spektakuär sein. Direkt neben dem Hafen steigt eine Felswand senkrecht in den Himmel.
Der Wachmann kommt nochmal vorbei und gibt uns die Zahlencodes für die Klos. Was für eine schicke Einrichtung, wir spielen noch kurz mit dem Gedanken zu duschen, aber das würde irgendwie nicht in die Stimmung passen. Wir merken auch langsam wie hundemüde wir sind (der Sekt?) und legen uns schließlich schweren Herzens in die gemeinsame Bugkoje. Das Gefühl endlich angekommen zu sein ist einfach unbeschreiblich schön, weshalb wir am liebsten noch gar nicht einschlafen würden.