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Von Nassau nach Bermuda


Montag, 28.04.2008 (344. Tag)

Heute ist mal wieder Wurstziehertag und wir teilen uns die Arbeit um möglichst schnell voran zu kommen. So wie die Prognose aussieht, sollten wir besser heute als morgen ablegen, also ist Effizienz angesagt.
Während Steffi dreimal zwischen dem Supermarkt und Apelia pendelt, habe ich eindeutig die entspannteren Aufgaben, aktualisiere das Tagebuch und fülle unsere Wassertanks randvoll. Mein Gang zu den Behörden erübrigt sich, da man angeblich nicht auszuchecken braucht. Das ist uns neu, aber jetzt noch einen Marathon quer durch Nassau zu starten, da fehlt uns die Lust zu.

Mit Vaseline eingecremete Eier halten sich auch ohne Kühlschrank ewig.


Im Schnellrestaurant der Tankstelle verschicken wir die letzten Mails, spenden unsere letzten Dollars einer Suppenküche und kaufen gemeinsam die letzte Fuhre Kartoffeln und Pampelmusen ein. Dann ist wirklich alles bereit für die Abfahrt und völlig unspektakulär, als ginge es zu einem Tagestörn, legen wir ab und segeln mit raumem Wind Kurs Nord. Würden wir den direkten Weg nehmen, bekämen wir nach der aktuellen Prognose am fünften Tag Gegenwind. Wir wollen deshalb einen Umweg von 100 nm in Kauf nehmen und erstmal Nord halten. Der Kurs bringt uns dann zwar voraussichtlich mitten durch ein kleines Hoch, doch danach haben wir starken achterlichen Wind und können in einem Schlag auf Bermuda zu halten.

Alle Ecken vollgebunkert, es kann losgehen.


Die Sonne sticht gnadenlos, so dass man es barfuß nicht an Deck aushält. Innen sind es zwar auch 32 Grad C, doch wir verkriechen uns trotzdem lieber in den Schatten und hängen meist in unseren Kojen. Wir müssen uns erstmal einschaukeln und brauchen unsere Ruhe. Trotzdem brät Steffi die zwei Yellow Fin Grouper, die uns ein Fischer heute morgen schenkte. Doch mir fehlt jeglicher Appetit. Morgen vielleicht.
Abends läßt uns ein raschelndes, fast regenähnliches Geräusch aufschrecken. Der Blick achteraus gibt Entwarnung: Wir sind mitten durch eines der vielen Seegrasfelder gefahren, die hier überall herumtreiben. Einzige Folge der Begegnung ist ein dicker Klumpen Tang am Ruder der Windfahne, doch mit einer Segellatte werden wir ihn los.
Kurz vor dem Sonnenuntergang wechseln wir zur großen Fock und binden die kleine aufgerollt in die Reling. Der Wind dreht immer weiter nach Süd und wir müssen fast stündlich die Windfahne nachjustieren. Great Abaco Island liegt im Westen und im Osten haben wir inzwischen die Abdeckung von Eleuthera Island hinter uns gelassen. Die Wellen sind seitdem deutlich größer (an die 2 m hoch) und laufen kreuz und quer durcheinander. Wären sie nicht so lang, wäre es richtig ätzend.
Es ist ein schönes Gefühl, wieder auf See zu sein und wir genießen die Freiheit. Am Horizont achteraus sieht man den Widerschein vom Paradise Island, doch wir gleiten hier durch das friedliche Meeresleuchten und haben alle Zeit der Welt. Trotzdem tue ich mir schwer zu schlafen und döse nur vor mich hin. So werden wir beide Zeuge von einem comedy-reifen Funkgespräch zwischen zwei sich begegnenden Frachtern: Beide Wachhabenden scheinen Inder zu sein und in diesem typischen Akzent geht die Diskussion ewig hin und her:
Schiff 1: "I altered my course to port, so please alter to port too."
Schiff 2: "Okay, I change to starboard."
Schiff 1: "No, you change to port, otherwise we come close!"
Schiff 2: "If I change to starboard, I pass your stern."
Schiff 1: "NO, CHANGE TO PORT!!!"
Schiff 2: "Okay, I change to port."


Dienstag, 29.04.2008 (345. Tag)

Auch Steffi kann nicht schlafen und als ich um 6:00 endlich einschlummern darf, muß sie hundemüde ihre Wache antreten. Andere Schiffe sehen wir keine und sind dementsprechend locker im Rhythmus. Ich weiß, das ist nicht die gute Seemanschaft, aber der Alltag schleift sich halt ein. Als ich durch Apelias Gerolle aufwache baumen wir in einer Hau-Ruck-Aktion die Fock aus und ändern den Kurs weiter nach Nord. Damit fallen die Wellen achterlicher ein und wir kommen wieder zur Ruhe.
Kurz vor dem mittaglichen Wachwechsel kocht Steffi aus den Groupern ein herrliches Curry (so wie damals bei Barbados) und zum ersten Mal seit dem Ablegen kann ich essen. Es tut gut und weckt meine Lebenskräfte, so dass ich meine Wache ausgeruht beginne. Unser Mittagsetmal beträgt 100 nm (da wir gestern erst um 15:00 losfuhren) und wir sind auf dem richtigen Kurs nach Norden. Im Westen sieht man langsam Wolken aufziehen, evtl. ist es der Ausläufer der Kaltfront, der uns abends erreichen soll.
Mittags segeln wir auf 10 Grad bei 3 Bft aus Süd und machen damit über Grund 4 kn. Keine Großtat, aber immerhin machen wir damit 100 nm pro Etmal, kommen also brauchbar voran. Steffi hat angefangen, die Wassertemperatur zu notieren. Im Laufe der Fahrt sollte sie langsam sinken, doch bisher hat der Ozean noch seine 25 Grad C, während wir im Boot bei 32 Grad schwitzen. Die befürchtete Abkühlung setzt zum Glück noch nicht ein.

Der Ausläufer der Kaltfront schiebt sich über uns.


Die Kaltfront kündigt sich wie erwartet mit Schauern und einer Winddrehung nach NW an, doch wir bekommen nur noch ihren südlichen Zipfel mit und machen es uns beim Regen unter Deck gemütlich. Es gibt das aufgewärmte Fischcurry und nach einem echten Designersalat, der geschmacklich seiner Optik in nichts nachsteht, verkrümele ich mich in meine Koje und kann herrlich schlafen. Wir scheinen in unseren Rhythmus zu kommen und genießen die Fahrt mehr und mehr. Allerdings wird es nach dem Sonnenuntergang zu kühl um nackig herum zu springen und wir kramen unsere langen Schlafanzüge hervor.

Feng Shui Salat, oder wie nennt man sowas?


Gegen 20:00 schlägt der Baum in der Flaute und ich springe panisch auf und bin kaum zu beruhigen. Zumindest erzählt mir Steffi das zur Wachablösung. Scheinbar bin ich doch noch nicht so ganz im Rhythmus und schlafe sehr "aktiv".
Als der Wind weiter nachläßt und wir mit schlagenden Segeln in der Restdünung rollen, starten wir den Motor. Der Propeller hat eine merkliche Unwucht und wir müssen ein paar Mal achteraus Gas geben, um ihn vom Seegras zu befreien. Danach tuckern wir mit 4 kn durch die tiefschwarze Nacht. Es ist fast Neumond, d.h. man bekommt die schmale Sichel nur noch kurz vor dem Sonnenaufgang zu sehen. Aufgrund der Bewölkung sehen wir auch keine Sterne und es ist ein seltsames Gefühl, nicht mal den Horizont sehen zu können. Wir tappen wirklich im Dunkeln.


Mittwoch, 30.04.2008 (346. Tag)

In meiner Freiwache hat der Wind wieder aufgefrischt und bei N 3 segeln wir mit gut 5 kn gegenan. Damit wird das Leben an Bord ein ganzes Stück anstrengender. Das "Wohnzimmer" ist um 30 Grad gekrängt und es wird unter Deck einiges lauter und unruhiger, da wir gegen die frischen Wellen anbolzen. Doch es ist noch ganz gut aushaltbar und weil wir Nord machen wollen um möglichst schnell auf die Nordseite des uns entgegenziehenden Hochs zu kommen (was Westwinde verspricht), halten wir durch und knüppeln hoch am Wind dahin.
Die meiste Zeit liegen wir bei diesen Bedingungen in unseren Kojen und gucken im 15 min Rhythmus in die Runde. Tagsüber ist Steffi ziemlich fit, doch ich kämpfe noch und verkrümele mich in jeder freien Minute hinter mein Kojensegel. Gegen 1:00 schreckt mich allerdings ein klackendes Geräusch vom Bug auf und im Schein des Decksscheinwerfers sehe ich unsere kleine Fock halb im Wasser hängen. Der konstante Nachschub von Spritzwasser hat die Rolle langsam aufgefüllt und jetzt hängt das Segel mit einem vollen Bauch außenbords. Mit einem zusätzlichen Zeising gesichert ist danach aber alles wieder seefest und ich bin froh, das Segel nicht verloren zu haben.
Mittags stellt Steffi fest, dass die Wassertemperatur seit gestern um ein Grad gesunken ist. Die Kaltfront hat außerdem die Luft auf angenehme 25 Grad C abgekühlt, doch wir sind beide nicht sehr unternehmungslustig und liegen unter Deck in den Kojen. Das dauernde Gegenangebolze geht uns auf die Nerven und wir kämpfen beide mit einer leichten Seekrankheit. Der Wind hat inzwischen auf knappe 4 Bft zugelegt und weht genau aus Nord. Über Grund halten wir mit 45 Grad ziemlich genau auf Bermuda zu.
Nachmittags frischt der Wind weiter auf und wir wechseln zur kleinen Fock. Wir genießen unsere flotte Zusammenarbeit. Nach 10 min ist die alte Fock in der Reling vertäut und mit der kleineren Besegelung machen wir 6 kn Fahrt. Es gibt frischen Saloooot mit angebratenen Champignons und als ich danach wohlig müde werde, schenkt mir Steffi eine Stunde und übernimmt ihre Wache schon um 17:00. Sie ist angesichts unserer Bolzerei auch nicht so ganz fitt, doch eine Cola wirkt Wunder.
Als der Wind weiter zulegt, binden wir im Dunkeln das erste Reff ein, was wieder schnell und problemlos über die Bühne geht. Ein gutes Gefühl, denn die Bedingungen sind nicht ganz einfach. Die Wellen werden immer höher und sind unangenehm steil. Apelia bockt und kämpft sich mühsam voran und es ist schon ein wenig Akrobatik gefordert, will man dabei an Deck arbeiten. Nach dem Segelwechsel sinkt unsere Geschwindigkeit auf 4 kn, doch angesichts des Lärms unter Deck nehmen wir das gerne in Kauf. Mir klingeln manchmal wirklich die Ohren, wenn Apelia sich mit einem Satz in die nächste Welle wirft und ihre Flanke in die heranrollende Wand stemmt.
Das einzige andere Geräusch unter Deck kommt von unserer Kaffeemühle, deren Kurbel mit jeder Welle hin und her rotiert und dabei ein Geräusch wie ein schnarchendes Schwein von sich gibt.


Donnerstag, 01.05.2008 (347. Tag)

Ich habe vor lauter Lärm und wilden Bewegungen kaum geschlafen und beginne meine Nachtwache dementsprechend verkatert. Der Wind ist total böig, mal dümpeln wir wild rollend mit 2 kn dahin und fünf Minuten später drückt uns eine Bö auf die Seite und wir preschen mit gut 5 kn gegen die Wellen. Das ist wirklich Segeln zum Abgewöhnen, wie schön wäre es jetzt, daheim in Flensburg einen freien Tag der Arbeit zu haben und ausschlafen zu können. Ich denke diese Tage oft an zu Hause, unsere Freunde, das Kat- und Modellsegeln, sogar an die Arbeit und ich merke, dass ich mich inzwischen darüber freue, dass es heimwärts geht.
Die gesamte Nachtwache liege ich in der Koje und blicke nur alle 20 min herum. Wieder kein Schiff weit und breit, dafür ein strahlender Sternenhimmel und funkelndes Meeresleuchten. Ich vertreibe mir die Zeit mit ABBA und sinniere darüber, ob ich mir so eine geile 70er Jahre Frisur und einen Vollbart wachsen lassen soll. Steffi wäre dann meine Agneta. Vermutlich würde sich dann aber keiner von Euch bei unserer Rückkehr blicken lassen, also lassen wir das. Etwas Abwechslung bietet ein 20 cm langer fliegender Fisch, der sich ins Cockpit verirrt. Die Tierchen werden aber deutlich seltener (oder nachtflugfähig).

Immer gen Osten. Vielleicht erahnt man hier die Wellenhöhe?


Morgens legt der Wind noch etwas zu und wir müssen das zweite Reff einbinden. An Bord wird es damit unerträglich. Apelia krängt weit über, hämmert durch die Wellen und an Schlaf ist kaum mehr zu denken. Bei jedem Hoppser verliert man fast den Kontakt zur Matrazze und wenn der Bug in die nächste Welle knallt, dröhnt es einem im Schädel. Wer jetzt das Pech hat vorne auf's Klo zu müssen, der holt sich unter diesen Bedingungen schnell mal einen Bandscheibenvorfall.
Ich werfe mittags eine Pille ein, damit ich wenigstens ein bisschen klar im Kopf werde, doch Steffi kommt noch ganz gut zurecht, müht sich in der Küche ab und kocht Mi-Nudeln mit Gemüse. Dabei verklemmt sich gerne mal der Herd beim Maximalausschlag und die Pfanne segelt fast durch das Boot. Das ist jetzt reines Durchhalten, zumindest für mich. Steffi entdeckt trotzdem weiße Punkte auf ihren Fingernägeln und deutet das als Zeichen für die Mangelernährung auf den Bahamas. Bei mir stellt sie dagegen ein Fastfood-Röllchen am Bauch fest.
Unser Mittags-Fazit ist eine Geschwindigkeit von nur noch 4,5 kn (mehr will man gegen diese Wellen auch gar nicht haben) und ein Kurs von 110 Grad. Das ist das eigentlich frustrierende. Trotzdem haben wir ein Etmal von 115 nm, da wir gestern noch ganz gut marschierten.
Um 19:00 UTC (15:00 LT) muss ich alle Willenskraft aufbieten, um das heutige Wetterfax zu empfangen. Dank der Pille und Steffis Unterstützung klappt es, aber die Aussichten senken die Stimmung weiter: Der Wind wird eher noch zunehmen und da sich das Hoch nicht wie vereinbart in Wohlgefallen auflöst, sondern scheinbar vor Bermuda etabliert ist auch mit keiner Winddrehung zu rechnen. Scheiss.
Um 21:00 kreuzen wir die Verbindungslinie Nassau/Bermuda und legen um. Es ist wieder bewölkt und damit fällt die Wende im Stockfinsteren etwas spannend aus. Man sieht keine Welle und muss sich damit ganz seinem Gefühl hingeben. Ist erstaunlich, wie schwierig es plötzlich wird, den Halt zu finden. Nach der Wende fahren wir 10 Grad und der 90 Grad Knick unserer Kurslinie auf der Karte ist wohl das deprimierendste, was einem widerfahren kann. Doch dafür halten wir jetzt genau in das herunterziehende Hoch hinein und hoffen damit auf eine Abnahme des Windes.
Durch den Kurswechsel liegt die aufgerollte Fock jetzt auf Lee und durchläuft damit genau dasselbe Schicksal wie letztlich ihre kleine Schwester. Sie füllt sich mit Wasser, hängt dann außenbords und als wir sie gemeinsam bergen scheint sie tonnenschwer. Wir hätten daran denken müssen, doch wahrscheinlich sind das Anzeichen unserer Übermüdung. Es überwiegt trotzdem der Galgenhumor, als wir im Schein des Decksscheinwerfers, nackig und mit den Rettungswesten gesichert auf dem Vordeck sitzen und die grüne See über uns herüber wäscht. Die Luft ist eisig, aber das Wasser hat noch 24 Grad C und kommt uns wie eine warme Badewanne vor. Die Fock nehmen wir am Ende einfach mit ins Boot und legen sie im Mittelgang ab.


Freitag, 02.05.2008 (348. Tag)

Ich wache auf, also habe ich tatsächlich geschlafen, klasse! Der Grund dafür liegt auch auf der Hand: Der Wind hat nachgelassen und auch die Wellen sind weniger ruppig. Meist bewegt sich Apelia relativ ruhig durch die Dünung und es wäre auch ein Ausreffen angesagt. Doch Steffi fällt sofort in den Schlaf und ich lasse sie lieber in Ruhe. Wir haben die Erholung bitter nötig. Es zeichnet sich ab, dass unsere Taktik tatsächlich aufgeht. Auch wenn wir nur mit 3,6 kn voran dümpeln, hat unser Kurs gegenüber gestern Abend 10 Grad nach Westen zugelegt.
Von achtern kommt ein Großer auf und ich funke ihn an, da ich seinen Kurs in diesen Wellen nicht gut einschätzen kann. Der Wachhabende ist superfreundlich und korrekt, hat uns schon auf dem Radar und kennt damit unseren Kurs und die Geschwindigkeit. Wie vorhergesagt passiert er uns in 5 nm Abstand und wünscht uns zum Abschied eine gute Nacht. Nach den ermüdenden Bedingungen der letzten Tage könnte ich bei soviel menschlicher Aufmerksamkeit fast in Tränen ausbrechen.
Das Wasser hat immer noch knapp 24 Grad C, doch nachts ist es im Boot trotzdem frisch. Die Schlafsäcke liegen schon im Bug bereit und ich überlege, mir meinen zu holen. Meine Füße sind kalt und ich schaffe es nicht wie Steffi, sie warm zu meditieren.
Während ich im Morgengrauen nochmal 2 h schlafe räumt Steffi die Fock zur Seite, damit man sich unter Deck wenigstens wieder normal bewegen kann. Dann gibt's wie immer Frühstück, bei dem ich im Bettchen bleiben darf und Steffi mir die gemachten Toasts reicht. Himmlisch! Bis nach Bermuda sind es noch 470 nm und sollte der Wind völlig einschlafen, könnten wir die Strecke zur Not motoren. Das haben wir natürlich nicht vor, also lösen wir ein Reff und machen wieder 5 kn Fahrt.
Die Stimmung beginnt sich angesichts dieser Bedingungen aufzuhellen, da entdeckt Steffi den nächsten Dämpfer: Unter den Brettern schwappt das Wasser in Lee fast bis zur Oberkante der Bodenwrangen. Es kommen Erinnerungen an England und das Leck vorne am Stecker hoch, doch mein beherztes Kosten (die Flüssigkeit ist leicht bräunlich...) gibt Entwarnung: Es ist Süßwasser und die Schuldigen sind auch sofort gefunden: Die meisten dieser bescheuerten Trinkwasserflaschen aus Amerika sind nicht ganz dicht (klar oder?). Infolge der letzten Tage haben wir unsere Bilge mit etwa 15 l feinstem "purified drinking water" gespült. Ein Glück, dass wir auf Bermuda nochmal nachbunkern können.
Natürlich ist damit auch unter der Küche alles aufgeweicht und als Steffi den sich in Auflösung befindlichen Eierkarton hervorkramt, begehen zwei der Insassen zwischen den Bodenwrangen einen unschönen Suizid.
Den Rest des Tages schmollen wir und gönnen uns angesichts der ruhigeren Bedingungen viel Schlaf. Einziges Highlight ist nachmittags eine kleine Möwe, die uns über Stunden folgt. Das Wetterfax zeigt, dass sich das Hoch tatsächlich über Bermuda einnisten wird. Wenn wir Glück haben, bringt uns das Südwind. Momentan kreuzen wir allerdings noch gegen einen abnehmenden NO an.

Wetterfax aus Boston vom heutigen Tag. Verletzt man damit Urheberrechte? Will keinen Ärger...



Samstag, 03.05.2008 (349. Tag)

In meiner Nachtwache reffe ich das Groß alleine aus. Der Wind hat weiter abgenommen und die See beruhigt sich erstaunlich schnell. Wir schlafen wieder richtig gut, ja wir verschlafen sogar häufig die Eieruhr in unseren Wachen. Eigentlich nicht gut, doch angesichts unserer Einsamkeit sehen wir das gelassen.
Zum Frühstück umrundet uns ein Tropicvogel. Ich verstehe nicht so ganz was sie da oben wollen, doch wenn sie uns anfliegen, probieren sie immer auf der Mastspitze zu landen. Die bewegt sich aber heftig hin und her und so endet jeder Landeanflug mit einem verzweifelten Quäken und einem weiteren Anlauf. Intelligenz ist was anderes.
Nachdem wir zur großen Fock wechseln erhöht sich das Tempo und der langsam nach Süd drehende Wind erhöht die Euphorie. Wir halten wieder deutlich auf Bermuda zu, so darf es weitergehen. Leider pendelt der Wind von einem Extrem zum anderen und ist mittags fast eingeschlafen. Wir sind also im Zentrum des Hochs angekommen, aber nach den letzten Tagen freut uns die Aussicht auf glattes Wasser. Der Strom setzt allerdings nach Norden und um nicht ganz so unkontrolliert in der Restdünung zu rollen, starten wir den Motor. Der verreckt fast beim Einkuppeln, doch ein paar mal rückwärts Gas geben verziert unser Heckwasser mit einer Wolke von Seegrasflocken und der Propeller dreht sich wieder vibrationsarm.
Mittags notieren wir ein Etmal von lediglich 90 nm, doch unser Kurs ist jetzt ein Anlieger und wir kommen mit über 4 kn voran. Das ist okay, und wenn sich die Vorhersagen des heutigen Wetterfaxes bestätigen, bekommen wir die kommenden Tage den erhofften Südwind.
Zum Sonnenuntergang macht uns eine sanfte Brise Hoffnung und wir genießen die Stille unter Segeln. Der GPS zeigt zwar nur einen Knoten Fahrt an, doch das ist egal, diese Ruhe ist himmlisch. Das Meer hat sich fast vollkommen beruhigt. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell das geht. Unter uns ziehen nur noch ewig lange, etwa 2 m hohe Wellen des Schwells dahin und die merkt man kaum. Wir sitzen in der Plicht und essen Orangen. Sie sind köstlich und kommen wie die Pampelmusen aus Florida, doch die Pampelmusen sind für mich das absolute Highlight. Wer solche Grapefruits hat, braucht keine Orangen.

Bis auf einen langen Schwell ist das Meer wirklich fast zur Ruhe gekommen.


Um uns herum entdecken wir hin und wieder die aufgeblasenen Segel der Portugiesischen Galeeren. Wir nennen sie inzwischen portugiesische Plastiktüten, denn aus größerer Entfernung halten wir sie immer für Müll. Aus der Nähe sind ihre filligranen Kämme allerdings wunderschön.
Da der Wind in der Dunkelheit einschläft starten wir doch wieder den Motor. Es wird wohl eine ruhige, aber laute Nacht.


Sonntag, 04.05.2008 (350. Tag)

Als ich zur Nachtwache raus gucke, traue ich meinen Augen kaum: Die Wasseroberfläche ist so glatt, dass sich die Sterne darin spiegeln. Es wirkt so, als wenn wir durch das Weltall fliegen. Zusätzlich bildet sich um das Boot ein grüner Funkenregen vom Meeresleuchten und auch weiter weg sieht man es hin und wieder grün schimmern. Wahrscheinlich sind es Quallen, die dort Signale geben. Die Nacht hat somit etwas magisches und es fällt einem leicht zu verzeihen, dass wir keinen Wind haben.
Kurz nach dem morgendlichen Wachwechsel hören wir unter Deck ein charakteristisches Qietschen und entdecken um uns herum eine Gruppe von etwa 20 Delphinen. Es sind große Tiere, etwa 4-5 m lang und sie sehen nach richtig rauhen Gesellen aus. Das Leben hier draußen scheint härter zu sein als in Küstennähe, zumindest sind sie alle von Narben gezeichnet. Einer ist sogar völlig überzogen mit hellen Flecken, die wie Bißspuren aussehen. Sie scheinen bei unseren 4 kn gelangweilt zu sein und pendeln lässig vor dem Bug hin und her, wobei einzelne Tiere immer wieder senkrecht in die Tiefe tauchen. Sie verschwinden dabei nicht etwa irgendwann im "Dunst", nein, das Wasser ist hier sowas von glasklar, dass man sie lediglich aus den Augen verliert, weil sie zu klein werden. Einfach irre.
Steffi serviert gerade "French Toast" zum Frühstück, als eine leichte Brise aufkommt. Wir hissen das Vollzeug und machen einen halben Knoten mehr Fahrt, doch es reicht nicht, um für unsere Begleiter interessant zu bleiben. Nach einer halben Stunde taucht die gesamte Delphinschule wie auf Komando in die Tiefe und läßt uns einsam zurück. Wobei, einsam sind wir die letzten Tage nie gewesen. Immer wieder sahen wir fliegende oder gewöhnliche Fische springen, Portugiesische Galeeren trieben vorbei, oder Madeirasturmvögel folgten unserem Kielwasser. Vor allem diese filigranen Vögelchen haben es uns angetan. Egal wie stark der Wind bläst, immer schweben und flattern sie wie schwerelos, nur Zentimeter über der Wasseroberfläche dahin und folgen uns. Es ist rührend, diese winzigen Warmblüter hier so weit ab vom Land zu treffen.
Mittags reicht uns das Geschnurre vom Motor und wir schalten ihn aus. Die Stille danach ist unglaublich intensiv und wird durch das ruhige Wasser noch verstärkt. Mit dem raumen Lüftchen aus NW machen wir noch einen Knoten Fahrt und fasziniert stehen wir am Heck und beobachten das Heckwasser, dass sich sauberst vom Spiegel löst. Nach den vergangenen Tagen strahlt die ganze Situation so eine Ruhe aus, dass wir nichts dagegen haben, nur im Schneckentempo voran zu kommen. Es ist wirklich paradiesisch und Steffi läßt sich sogar zu einem erfrischenden Bad hinreißen, während ich aufpasse.

Erfrischendes Bad in der unendlichen Weite.


Fast wieder blitzeblank gesegelt.


Unser Mittagsetmal beträgt nur 80 nm, doch wir sehen es entspannt. Das Hoch ist inzwischen über Bermuda angekommen und soll sich langsam ausbreitend nach Osten weiterziehen. Wir können uns also Zeit lassen, bald werden uns südliche Winde beglücken, und dann kann der Endspurt kommen. Noch 302 nm, also kein Stress.
Schon nachmittags kündigt die Winddrehung nach Süd den Umschwung an und da das Wetter ruhig bleiben soll, ziehen wir unser Posertuch, die Mylargenua auf. Es ist ein riesiger Lappen und einmal ausgepackt ist sie an Bord nur schwer wieder zu falten. Doch in dieser Brise tut sie wahre Wunder, denn plötzlich verdreifacht sich unsere Fahrt auf 2,6 kn. Alles Peanuts, ich weiss, aber unter diesen Bedingungen trotzdem cool und zur Feier des Tages gönnen wir uns je einen Riegel 7$-Schokolade von den Bahamas, die geschmacklich allerdings wenig mit Schokolade zu tun hat.
Da Steffi für morgen schon eine Linsensuppe gekocht hat, steht uns abends eine breite kulinarische Auswahl zur Verfügung und wir genießen nach dem Tabulé auch noch ein Schäppchen von den Linsen. Danach haue ich mich in die Koje, aber irgendwie paßt mein Schlafrhythmus momentan nicht zum Wachschema. Abends bin ich fitt, doch in meiner 0-6:00 Uhr Wache kämpfe ich dann mit dem Schlaf und verpenne schonmal die Eieruhr.
Um 22:00 entdeckt Steffi einen Lichtschein am Horizont, der so gar nicht zu unserer Navigation paßt. Von der nächsten Stadt trennen uns doch noch mehr als 200 nm? Es dauert noch eine ganze Zeit, bis die Auflösung in Form eines Kreuzfahrers über der Kimm auftaucht. Wahrscheinlich verbraucht er auch soviel Strom wie eine Kleinstadt, denn er funkelt wie ein Weihnachtsbaum, als er weit weg unser Heck passiert.
Ich bekomme von dem ganzen nicht viel mit, denn da ich endlich eingeschlummert bin, kann ich herrlich von Seeigeln träumen und warne Steffi wiederholt davor, nicht auf sie zu treten. Sie würden überall im Boot sitzen und es wären auch die, mit den schön langen Stacheln. Wirklich 1A Tripps, die ich da habe, alles wirkt völlig real und das ohne auch nur ein Gramm eines psychogenen Mittelchens.


Montag, 05.05.2008 (351. Tag)

Zum nächtlichen Wachwechsel bekommen wir wieder Delphinbesuch. Der Wind hat etwas zugelegt und mit unseren 5 kn scheinen wir für unsere Begleiter ein Stück interessanter zu sein. Wie die wilden stauben sie um unseren Bug herum und wir stehen mal wieder gebannt auf dem Vordeck und beobachten die funkelnden Spuren, die sie im Wasser hinterlassen.

Dem Sonnenaufgang entgegen.


Beim Frühstück öffnen wir heute eine Milch und wundern uns mal wieder über die amerikanische Nahrungsmittelindustrie. Zuerst wird alles denaturiert und dann aber wieder mit "wichtigen" Elementen versetzt. So machen sie aus der Milch weißes Wasser und versetzen sie dann mit Vitamin D. Beim Brot geht es gleich so weiter: Es ist labbrigstes Weißbrot, dem dann Kalzium und Vitamine beigefügt werden. Warum nicht normale Vollmilch und Vollkornbrot essen? Das würde auch der Verdauung helfen, die bei mir erst heute (wegen des Tees?) in Gang kommt. Ach ja, auch beim Klopapier sollte man die Amerikaner vielleicht mal über den Sinn einer Perforation aufklären und dass man es auch gleich mehrlagig aufrollen kann...
Aufgrund der gestrigen Flaute notieren wir ein Mittagsetmal von nur 90 nm, doch inzwischen machen wir bei S 3 gute 5 kn Fahrt. Es sind Bilderbuchbedingungen und wir sitzen viel draußen und genießen das blaue Wasser. Der Himmel ist fast wolkenfrei, allerdings ist es diesig und so sticht die Sonne nicht so heftig.
Beim Gitarrespielen komme ich inzwischen ganz gut mit dem Hammering klar und stelle mir mit Elvis' "Love me Tender" und "Return to Sender" zwei neue Herausforderungen. Viele neue Griffe zum die Finger brechen, doch da Steffi schläft kann ich alles ewig wiederholen und gelingen die Stücke letztendlich fast ohne Stocken.
Als Steffi mittags die Thermoskanne umwirft und sich ein Liter frischester Rooibuschtee in der Küche ausbreitet wird deutlich, wie entspannt wir gerade sind. Einmal ein kurzes "Scheisse" und dann wischt man es halt auf. Kein Grund sich lange darüber aufzuregen.
Als ich nachmittags am Tagebuch tippe holt Steffi sich die Gitarre und beginnt zu üben. Meine Fortschritte haben sie heiß gemacht, und jetzt will sie es auch probieren. Vermutlich wird sie mich bald überrundet, da sie von der Geige das entsprechende Wissen mitbringt. Es macht ihr auf jeden Fall ein schlechtes Gewissen, doch ehrlich gesagt freut es mich, sie so üben zu hören und ihre wachsende Begeisterung zu sehen. Wir sind uns einig, dass es kein genialeres Instrument als die Gitarre gibt, um sich dem Musizieren zu nähern. Zumindest mit dem Peter Bursch Buch macht man so große Fortschritte, dass einen nur die schmerzenden Finger der linken Hand vom Weitermachen abhalten.
Auf dem Wetterfax sehen wir, dass sich heute Nacht eine gigantische Kaltfront über uns hinwegschieben wird. Sie reicht von Neufundland bis Florida und wir sind auf der Hut. Das Seglerlexikon bestätigt uns, dass die Kaltfront in Verbindung mit feuchter Luft zu Gewittern führt und da es den ganzen Tag diesig war, sehen wir nach dem Sonnenuntergang im Westen die erste Bestätigung: Es wetterleuchtet heftigst hinter uns und das Unwetter zieht genau auf uns zu.
Um gerüstet zu sein tauschen wir die Genua gegen die kleine Fock und luven an auf einen Kurs von 140 Grad. Die Genua rollen wir grob zusammen und stopfen sie in die Bugkoje. Im Dunkeln bei 3 Bft besteht keine Chance, sie sauber zu falten.
Wir haben Glück. Das Gewitter zieht etwa 20 nm nördlich von uns durch und wir kehren zu unserem Anlieger auf Bermuda zurück. Am Horizont geht wirklich die Post ab und wir sehen zahlreiche Blitze, die den Boden erreichen. In Nassau bekam ich noch eine Mail von meinem Vater, der einen Bericht aus der letzten niederländischen Seglerzeitschrift zitierte: Blitze haben eine "Reichweite" von etwa 15 nm, allerdings hört man den Donner nur 12 nm weit. Statistisch gibt es die meisten Einschläge in Yachten am seitlichen und hinteren Rand des Gewitters und so kann es passieren, dass es einen erwischt, obwohl man bisher noch nicht einmal ein Donnergrollen gehört hat. Unschöne Aussichten.
Da ich durch die Manöver wenig Schlaf bekommen habe, läßt Steffi mir noch eine Stunde Ruhe und liest solange in ihrer Biografie über Edith Stein. Zu mehr als einem Schlummern reicht es bei mir allerdings nicht, zumal uns beide eine SECURITE-Meldung aufschrecken läßt. Sie entpuppt sich allerdings als ganz normaler Rundruf von Bermuda Radio. Für uns ein kleines Wunder, denn bis Bermuda sind es noch 150 nm.


Dienstag, 06.05.2008 (352. Tag)

Als ich meine Nachtwache beginne, sehe ich am nördlichen Horizont schon wieder ein Gewitter toben. So auf offener See ist das wirklich gruselig, doch wir können aufatmen, hinter uns sehen wir überall die Sterne, also nichts im Anzug.
Ich liege viel in der Koje und höre mich durch unser gesamtes französischsprachiges mp3-Repertoire. Dabei schlummere ich kurz ein und als ich nach 30 min wieder in die Runde schaue, sehe ich keine 5 nm an Backbord eine rote Positionslaterne und ein Dampferlicht. Im ersten Moment ein ziemlicher Schrecken, doch da ein zweites Dampferlich fehlt, kann das dort drüben eigentlich nur eine Yacht sein.
Ich rufe sie an, doch es dauert, bis eine Antwort in perfektem, allerdings sehr distanziertem Oxford-English kommt. Dort drüben segelt die 140 ft Yacht Mirabella und man scheint nicht viel Interesse daran zu haben, sich mit so einem Floh wie uns zu unterhalten. Das kommt wirklich in jedem Funkspruch durch ("yes, we've already spottet your weak radar signal an hour ago...") und ich gebe dann auch bald auf.
Der Wind weht inzwischen mit 4 Bft aus S und beschert uns 7,5 kn Fahrt. Damit spritzt draußen schonmal ein Gischtspritzer ins Cockpit und die etwas ruppigeren Bewegungen erfordern unter Deck etwas mehr Disziplin. Doch bei Etmalen von um die 150 nm ist uns das egal. So wollen wir das haben.

Pyjamaheld.


Steffi übt weiter ihren D-, A- und G-Akkord und muß dazu das von ihr so gehaßte Lied "This Land is Your Land" spielen. Jaja, Gitarre lernen fordert Opfer. Ich lieg derweilen in meiner Koje und entdecke im DK Seglerlexikon einen interessanten Punkt: Während auf deutschen Windkarten ein halbes Fähnchen einem Beaufort entspricht, steht es auf den internationalen Wetterkarten für 5 kn Wind. Anderthalb Fähnchen entsprechen damit in Deutschland 3 Bft, während einem in internationalen Gewässern schon 15 kn um die Nase wehen, was guten 4 Bft entspricht. Das erklärt dann auch, weshalb wir die letzten Tage keine entspannte Kreuz, sondern eine harte Plakkerei durchleben mußten.
Nachmittags ist der Zauber des flotten Halbwinders leider schon vergangen. Der Wind hat sich fast völlig verabschiedet und da das Groß wie verrückt schlägt, bergen wir es und motoren bei stehender Fock mit 4,5 kn dahin. Die Kaltfront hat uns jetzt endgültig erreicht und es regnet fast durchgehend. Trotzdem ist unsere Stimmung gut, wir sitzen drinnen im Trocknen, trinken heißen Tee und essen frischen Obstsalat. Dagegen verliert die geschmackslose und überteuerte Cadburry-Schokolade aus Nassau jeglichen Reiz.
In der Abenddämmerung kommt plötzlich ein Umschwung: Der Wind frischt innerhalb von Minuten auf und bei SW um die 4 Bft marschiert Apelia raumschots unter Vollzeug mit 8,5 kn dahin. Das ist genial! Fast jede Welle verwandelt sich in eine Surfbahn und die Windfahne hält uns perfekt auf Kurs. Die Gischt der Bugwelle spritzt links und rechts vom Bug in die Höhe und hinter uns gurgelt die Hecksee. Mit so einer Rauschefahrt werden die letzten 30 nm zu Bermudas Südspitze ein Katzensprung und kurz nach Mitternacht dürften wir da sein.
Leider währt die Freude nicht besonders lange, denn als es nach 20 min dunkel ist, erkennen wir hinter uns die Blitze einer regelrechten Gewitterwand. Das also ist der Grund für den Wind und er marschiert unweigerlich auf uns zu. Selbst mit dieser Fahrt werden wir es nicht schaffen, vor dem Unwetter zu bleiben und da es so scheint, als gäbe es im Süden ein Loch, bergen wir das Groß (um gegen die Böenwalze gewappnet zu sein) und luven auf halben Wind an.
Die Strategie geht auf, das Gewitter zieht nördlich von uns durch und wir kehren auf unseren ursprünglichen Kurs zurück. Als das Unwetter Bermuda passiert hat, leuchtet plötzlich der Himmel vom Widerschein der Lichter auf. Es geht von einem Moment auf den anderen, so als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Es sind noch 20 nm, also melden wir uns über Funk bei Bermuda Radio. Der Funker ist wirklich die britische Freundlichkeit in Person und beschreibt uns detailliert, wie wir durch den Town Cut Kanal in die Lagune von St Georges hinein kommen. Danach führt er uns durch einen ganzen Katalog an Fragen zu uns und dem Boot, unter anderem nach unserer geplanten Aufenthaltsdauer. Die kennen wir natürlich noch nicht, sie hängt davon ab wie sich das Wetter entwickelt und wie uns Bermuda gefällt. Seine Antwort folgt prompt: Er würde also mal 2-3 Monate notieren. British Humor par Excellence.
Auch unsere gesamte Sicherheitsausrüstung ist von Interesse und als wir den EPIRB aus seiner Halterung nehmen, um seine UIN-Nummer durchzugeben passiert das Malheur: Vermutlich war es die allgegenwärtige Feuchtigkeit auf unseren Fingern, die den automatischen Auslöser überbrückte, auf jeden Fall fängt das Ding an zu blitzen und zu piepen und sorgt bei uns kurzzeitig für ziemliche Hektik. Vor meinem inneren Auge sehe ich schon, wie Bremen Rescue in den frühen Morgenstunden Andreas in Hamburg anruft und eine ganze Lawine an SAR-Aktionen in Gang kommt. Doch als der EPIRB in seiner Halterung verstummt entspannen auch wir uns und Mr. Bermuda Radio verspricht uns, alle nötigen Schritte zur Entwarnung einzuleiten. Nach der Ankunft erfahren wir von Andreas, dass Bremen Rescue nicht informiert wurde, das Signal scheint also nirgendwo angekommen zu sein.


Mittwoch, 07.05.2008 (353. Tag)

Anstatt einer schnellen Ankunft werden wir leider nochmal richtig auf die Probe gestellt. Von hinten ziehen zwei Gewitter auf und obwohl wir kurzzeitig sogar auf Gegenkurs gehen, schaffen wir es nicht, dem einen Gewitter auszuweichen. Es erwischt uns mit seinem hinteren Rand und da wir uns an o.g. Statistik erinnern, sitzen wir weit weg vom Mast am Niedergang auf den Ölzeugsitzen und harren der Dinge, die da kommen. Es gießt in Strömen und durch das Schiebeluk sehen wir im Sekundentakt die Wolken über uns im harten Licht der Blitze aufflackern. Wir haben beide Angst bis zum Anschlag, doch es gibt jetzt einfach nichts mehr was wir tun können. Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn uns ein Blitz trifft. Im besten Fall wandert er durch die Verschraubungen der Wantpüttinge in der Rumpfschale ab, doch vor meinem inneren Auge sehe ich auch Bäume, die förmlich explodieren, wenn das Wasser im Holz durch die Hitze des Blitz schlagartig verdampft.
Zum Glück bleiben wir verschont, sind nach dieser "Kur" allerdings sowas von lustlos, dass wir das Groß nicht wieder setzen, sondern unter Fock und Motor Bermudas Küste nach Norden folgen. Wir kommen damit nur langsam voran und es dauert bis zum Morgengrauen, bis wir die Ansteuerungstonne von St Georges erreichen. Dort angekommen sind wir nicht die einzigen und müssen der Norwegian Dawn den Vortritt lassen. Für mich eine lustige Begegnung, denn ich habe sie besichtigt, als sie noch bei der Meyer Werft im Dock lag. Ein echt häßliches Teil.

Norwegian Dawn bekommt den Vortritt. Zahlt aber auch mehr Liegekosten.


Die Landschaft, die wir bei der Einfahrt durch den Town Cut sehen gleicht einer Mischung aus Schärenlandschaft und Karibik. Zwischen den winzigen Felsinseln leuchtet das Wasser tiefblau und hier und da finden sich kleine Strände mit weißem Sand, wo es verlockend türkisfarben schimmert. Die Vegetation ist eine Mischung aus exotischen Nadelbäumen und den Gewächsen, die wir aus der Karibik kennen. Das ganze dann noch garniert mit einem intensiven Vogelleben. Es ist verlockend und St Georges mit seinen Häuschen in altem britischen Charme weckt trotz der Müdigkeit unsere Lust zu einer Erkundungstour.
Nach den Zollformalitäten liegen wir längsseits an der Mole und kommen sofort in Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Alle sind "very british" und freundlich, haben dabei aber noch eine lockere und warme Art und wir fühlen uns wie in einer großen Familie. Egal wo wir hinkommen, überall hat man schon das "cute, red boat" hereinkommen sehen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass St Georges einfach eine kleine Gemeinschaft ist und man den Seglern ein großes Interesse entgegenbringt. Bermuda ist aber auch ein Drehkreuz der Yachtszene. Neben den Europäern, die auf dem Heimweg hier Station machen, nutzen auch viele Amerikaner auf Ihrem Weg in oder von der Karibik die Insel als Zwischenstopp.
Beim Segelmacher versuchen wir uns leider vergeblich mit seinem Ara anzufreunden (bei so einem Schnabel ist man besser vorsichtig) und das Ziehen der Emails klappt wegen einer Neuinstallation unseres Servers auch nicht. Doch nichts kann uns aus der Ruhe bringen, wir sind momentan selig, Bermuda erreicht zu haben und diese gemütliche Ministadt nimmt uns mit ihrem Flair vollkommen in Beschlag.
Um einer 53 ft Oyster Platz zu machen, verlegen wir uns und helfen der Besatzung beim Anlegen. Es ist seltsam, aber wir haben das Gefühl, dass die Leute sich mit den großen Booten häufig übernehmen. Elektrowinschen, Kartenplotter und Bugstrahler ermöglichen es jedem zu segeln und scheinen den Leuten die Angst vor der Größe zu nehmen. Dafür hapert es dann häufig beim Können. Wir bekommen oft zu hören, dass man bei einem Boot unserer Größe schnell mal was abhalten kann, wenn es schief läuft, doch seltsamer Weise ist dieses Abhalten bei uns nie nötig. Wenn man die meisten Manöver so sieht, beginnt das Problem sowieso schon lange vor dem Abhalten. Auf jeden Fall überschüttet mich Steffi angesichts unserer Nachbarn mit Lob.
Wir gönnen uns einen langen Mittagsschlaf und spazieren danach zu dem Fort über der Stadt, in dem Bermuda Radio sitzt. "Unser" Funker hat gerade Dienst und wir wollen ihm als Dankeschön ein Fläschchen Flensburger Aquavit vorbeibringen. Leider reagiert niemand auf die Klingel, also stellen wir das Fläschen in den Briefkasten und sagen ihm über Funk Bescheid. In gewohnter, perfekt britisher Manier findet er es "naughty", dass uns niemand geöffnet hat und beeilt sich das Fläschchen zu bergen, bevor es jemand anderes tut. Der Typ ist einfach herrlich.

Ich glaube hier liegen wir sicher.


Zum Abendessen verholen wir uns auf die Terasse des Restaurants direkt neben unserem Liegeplatz und dinieren exzellent mit einem herrlichen Blick auf Apelia und die Lagune. Neben all den anderen Yachten ist sie wirklich ein winziges Dinghy, doch wir sind so unglaublich stolz auf sie und verlieben uns jedes Mal auf's neue in ihre Linien.
Über die kritischen Kommentare die vom Nachbartisch herüberschallen können wir nur müde lächeln. Mr. Alleswisser und Weltumsegler läßt kein gutes Haar an unserer Nußschale, doch er ist es nicht wert, dass wir ihn darüber aufklären, was für ein geniales Boot vor ihm liegt. Watermaker, Elektrowinschen, Kartenplotter und Rollsegel entscheiden eben nicht über die Seefähigkeit eines Bootes. :o)

Unsere Route nach Bermuda.