Von Bermuda nach Flores/Azoren
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Donnerstag, 15.05.2008 (361. Tag)
Seit vorgestern herrscht großer Aufbruch der ostgehenden Yachten auf Bermuda, während die westgehenden Amerikaner sich noch eine gute Woche gedulden müssen und dementsprechend genervt sind. Mickey legte vorgestern ab und wird eine harte Zeit auf dem Weg nach New York haben, doch er muß die Swan abliefern und hat sicher auch schon schlimmere Bedingungen gesehen.
Zur Zeit kommt ein Tief nach dem anderen über Amerika gezogen. Sie rauschen genau über Bermuda hinweg, werden dann allerdings vom zur Zeit sehr starken Azorenhoch nach Norden weggedrückt. Das sind für unseren Kurs fast ideale Bedingungen, denn auf der Südseite der Tiefs trifft man auf achterliche Wind. Man muß halt nur den richtigen Zeitpunkt für den Absprung wählen, um weit genug östlich zu sein, bevor das nächste Tief angekreiselt kommt. Alle sind auf den Wetterfax-Karten mit "Gale" gekennzeichnet und auf ihrer Südseite zieht der Wind auf bis zu 40 kn an. Wer's drauf anlegt, dem ist das egal, aber wir werden uns in so einem Fall weiter südlich ins Azorenhoch verkrümeln.
Neben den starken Winden bringen die Tiefs auf ihrer Südseite immer eine Kaltfront mit, der wir nach den Erlebnissen bei der Ansteuerung von Bermuda auch lieber ausweichen. Wo die kalte Luft auf die feucht-warme des Azorenhochs trifft, tanzt die Atmosphäre Rock'n Roll und Gewitter sind die Folge. Auf offenem Wasser einfach nicht unser Ding.
Nach der gestrigen Front wird in zwei Tagen das nächste Tief über Bermuda ankommen, also höchste Zeit, heute abzulegen und Ost zu machen. Während Steffi auscheckt, die Liegegebühren zahlt und nochmal auf Vorrat in die Kirche geht, rotze ich das Tagebuch herunter und vergesse dabei allerlei schöne Details über Bermuda. So sind zum Beispiel alle Dächer weiß gestrichen. Als ich Bermuda in Google Earth ansah, dachte ich, dass man hier unter Wellblechdächern lebt, doch weit gefehlt. Die Anwohner sind gesetzlich verpflichtet ihre Dächer weiß zu streichen und jedes dieser urig britischen Steinhäuser muss das Regenwasser in einer Zisterne speichern. Das erklärt, warum man bei der Klospülung schonmal kleine Blätter im Spülwasser vorfindet.
Wir haben das Gefühl, die Insel zu früh zu verlassen. Sie hat viele schöne Ecken zum wandern und ankern und eben diesen ganz eigenen Charme. England meets Karibik. Allerdings sind die Inselchen ziemlich zersiedelt, was auch die extrem scharfen Einwanderungsgesetze erklärt. Man ist einfach voll und Ausländer dürfen sich maximal sechs Jahre auf Bermuda aufhalten. Die Inseln würden sonst aus allen Nähten platzen.
Wir gönnen uns eine letzte Süßwasserdusche und wechseln ein paar Worte mit der englischen Bavaria, die gestern herein kam. Sie wurden vom letzten Tief übel erwischt und von den Wellen regelrecht verprügelt. Die Rollfock hängt in Fetzen herab, die Sprayhood ist völlig zerfetzt und die Dieselkanister, die mal hübsch in die Reling gebunden waren (sieht man bei vielen Booten), liegen wild zerstreut an Deck. Sie sagen sie seien einmal platt auf's Wasser gedrückt worden und ein Besatzungsmitglied war zwischenzeitlich über Bord gespült. Dank seiner Lifeline kam es nicht zur Tragödie. Die beiden Engländer haben ihren Humor wieder gefunden, doch wir schlucken angesichts dieser Erlebnisse und nehmen uns vor, die kommende Passage extrem vorsichtig anzugehen. Dann gibt es zwar später keine Abenteuer zu erzählen, aber das nehmen wir gerne in Kauf.
Apelia ist schnell seeklar gemacht, wir kaufen noch ein paar Flaschen Wasser, schleimen uns mit Erdnüssen in das Herz des Papageien vom Segelmacher und investieren die letzten Dollar in Torten und Muffins. Zurück am Hafen liegt die Contessa schon am Zollsteg und Frank überreicht uns zum Abschied eine Packung Pralinen für den 20. Mai, unser einjähriges Segel- und zehnjähriges Zusammensein-Jubileum. Wir sind gerührt und etwas sprachlos und als kleines Dankeschön verstecke ich den letzten Schokomuffin am Kopfende von Franks Koje. Ich hoffe er hat ihn rechtzeitig bemerkt. Seekrank ein plattgelegenes Törtchen unter dem Kopfkissen finden, das könnte unser neues, herzliches Verhältnis empfindlich stören.
Es wird Zeit reinzuhauen, schließlich haben wir die fixe Idee, gemeinsam mit der Contessa auszulaufen. An der Apelia müssen wir unseren Plan allerdings aufgeben, wir haben ganz vergessen, die neu lackierte Pinne anzubauen und während ich sie montiere, verschwinden die Kassler durch den Town Cut, den schmalen Kanal zwischen Lagune und Meer. Vielleicht ist es so auch besser, eine Atlantiküberquerung sollte man nicht überstürzt beginnen, schon gar nicht ohne Pinne.
Adios Bermuda!
Nachdem uns auch Bermuda Radio die Erlaubnis zum Aufbruch gegeben hat, verlassen wir die Insel und treffen draußen auf gewöhnungbedürftige Bedingungen. Aus NO schieben uns raume 4 Bft an, also eigentlich ideal, doch die Wellen sind gut 4 m hoch und wir leiden ausgiebig unter Einschaukelsyndromen. In den Kojen kann man es ganz gut aushalten, aber als Steffi sich, gewappnet mit einer Pille, am Kocher zu schaffen macht, muß sie doch im hohen Bogen kotzen. Doch wird sind ja Profis und kein Tropfen/Bröckchen trifft das Boot.
Auch das Ausguck gehen ist bei diesen Wellen alles andere als einfach. Es dauert manchmal ewig, bis man sich endlich mal auf einem hohen Wellenberg befindet und den Horizont sieht. Dafür entdeckt Steffi drei sehr große Wale, die unsere Bahn knapp am Heck passieren. Auch nicht gerade beruhigend, Wal-Kollisionen haben schon so manche Yacht in Schwierigkeiten gebracht.
Dösend in den Kojen vergeht die Zeit ziemlich flott und in der Abenddämmerung schaffen wir es sogar, ein paar Scheiben von Franks Müslibrot zu verzehren. Steffi ist dafür extrem dankbar, denn es war das einzige, was nach der Kotzerei für sie eßbar war. Frank, die gute Seele hat uns außerdem mit Fachitas versorgt und nur das teilweise starke Krängen in den Wellen und Apelias Hoppserei verhindern eine ausgiebige Schlemmerei. Trotzdem ist es unter Deck gemütlich, vor allem, wenn uns ein brechender Wellenkamm mit Gischt eindeckt und die Plicht auffüllt. Dann sind wir froh, dass alle Lecks gedichtet sind und genießen den Schutz unserer winzigen Welt.
Gegen 19:00 schreckt uns eine PAN PAN Meldung von Bermuda Radio auf. 18 nm südlich von Bermuda ist eine 50 ft lange Ketsch in Schwierigkeiten ("disabled", was auch immer das heißt), doch es meldet sich zum Glück ein anderes Boot, um ihr zu assistieren. Der verprügelte Engländer im Hafen, die beiden entmasteten Franzosen vor Anker und mehrere Boote mit zerfetzten Segeln sind deutliche Zeichen dafür, dass dieses Seegebiet kein Spielplatz ist. Übermorgen kommt es hier wirklich dicke, wir kurbeln also noch ein wenig an der Windfahne und halten genau Ost. Lieber in der Flaute des Azorenhochs landen, als Sturm zu riskieren.
Freitag, 16.05.2008 (362. Tag)
Gestern Abend gab es noch einen kleinen Dämpfer: Die LED-Topplaterne funktionierte nicht und um wenigstens ein Lebenszeichen in die Finsternis zu senden, schalten wir das weiße Rundumlicht im Topp ein. Es ist unser kombiniertes Dampfer-Heck-Licht, dass man als kleines Boot zusammenfassen darf, doch da wir es eigentlich nur unter Motor fahren, tut hier eine traditionelle Glübirne ihren Dienst und die saugt mit 1,5 A am Akku. Bei etwa 8 h Brenndauer pro Etmal bringt das unseren Energiehaushalt ins Wanken, wir werden also hin und wieder den Motor als Generator misbrauchen müssen.
Durch das Geschaukel und den Lärm schlafen wir beide schlecht, werden allerdings durch 6,4 kn Fahrt entschädigt. Damit kommen wir weit genug nach Osten um dem Sturmtief auszuweichen, das Bermuda morgen erreichen soll. Skipper Hans von der Contessa nimmt wie immer und unabhängig vom Wetter die Nordroute, was erklärt, warum wir nichts mehr voneinander sahen. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man sich auf dem Meer verliert. Da bietet Bermuda Radio noch einen willkommenen Kontakt in die Welt. Selbst heute, nach 130 nm hören wir sie noch. Bei dieser Sendeleistung sieht man die Antenne nachts wahrscheinlich glühen.
Mittags hat der Wind auf 3 Bft abgenommen und in der verbleibenden 2 m Dünung wanken wir unter Vollzeug mit 4,5 kn dahin. Wir sind so übernächtigt, dass wir die Eieruhr hin und wieder verschlafen, doch jeder Rundblick zeigt sowieso nur endlose Weiten in der Sonne glitzernder Wellen.
Bei ihrer täglichen Wäsche in der Plicht (ich bin da etwas "entspannter") entdeckt Steffi mittags unseren blinden Passagier. Ich kenne mich da nicht so aus, aber wir vermuten, dass es ein Gecko ist. Schließlich leuchtet er vom grünen Kopf über blaue Hinterbeine zu einem orangenen Schwanz und ändert die Farbe, als er sich vor uns auf ein Fall flüchtet. Außerdem scheint er über Saugnäpfchen an den Füßen zu verfügen, denn er kann sich problemlos auf dem glatten Aluminium des Baums halten.
Unser blinder Passagier.
Im ersten Moment freuen wir uns über dieses "possierliche Kerlchen". Er scheint uns aus seinen schwarzen Augen keck anzugucken und springt quirlig vom Baum an die Fallen und runter auf die Kajüte. Da verharrt er dann mit erhobenem Kopf auf dem Solarpaneel und macht mit seinem orangenen Kehlsack einen auf dicke Hose. Das ist eindeutig ein Männchen und wir haben ihn sofort in unsere Herzen geschlossen, müssen dann aber auch einsehen, dass er hier einer sehr ungewissen Zukunft entgegensieht. Vermutlich frißt er Insekten aber davon fehlt bisher an Bord und vor allem hier draußen, jede Spur. Wir bieten ihm die kommenden Tage von Nudeln über Obst bis zu Ei alle nur erdenklichen Gerichte an und verwandeln das Kajütdach in eine regelrechte Komposthalde, doch ich habe das Gefühl, dass er alles links liegen läßt und zusehends abmagert. Keine Ahnung, wie lang es so ein Tierchen ohne Nahrung aushält, aber wir nehmen uns vor, ihn nach bestem Wissen zu unterstützen und in Flores unseren Teil an der Bioinvasion zu tragen, wenn er es bis dorthin schafft.
In der Abenddämmerung hat der Wind so weit abgenommen, dass das Groß anfängt zu schlagen. Schuld an dem ganzen ist in meinen Augen der schwere Baum, doch es bringt nichts, ihn zu fesseln, also bergen wir das Segel und setzen vorne die kleine Fock als zweites Passatsegel. Ab morgen soll sich uns das Sturmtief so weit genähert haben, dass der Wind aus West auf bis zu 35 kn auffrischt, insofern fühlen wir uns mit dieser leicht zu hantierenden Besegelung ganz gut. Erste Botschafter des nahenden Tiefs sind die Wolken, die den Himmel zusehends beziehen. Normalerweise bedeutet das eine pechschwarze Nacht, doch dank des Vollmonds bleibt es relativ hell.
Samstag, 17.05.2008 (363. Tag)
Über Nacht hat der Wind auf SO gedreht. Um dadurch nicht zu weit nach Norden versetzt zu werden, bergen wir den Baum der Backbordfock und luven etwas an. So laufen wir wieder 5,4 kn. Keine große Fahrt, doch dafür ist es unter Deck saugemütlich und wir koscheln in einer Koje.
Mittags messen wir trotz der gestrigen Schleichfahrt ein Etmal von 110 nm. Der Wind hat inzwischen auf 21 kn aufgefrischt und Apelia spurtet mit 7 kn dahin. Leider hat der Wind auch die Wellen frisch aufgepeitscht. Sie sind mit 2,5 m nicht sehr hoch, dafür aber saumäßig steil. Wenn man beim Rundblick nach achtern guckt wird einem angesichts der Wasserwände angst und bange, doch Apelia hebt gleichgültig ihr schlankes Heck und wenn, dann landen nur ein paar Gischtspritzer in der Plicht.
Als Steffi mittags in die Runde blickt, entdeckt sie 200 m neben uns einen japanischen Fischkutter auf Gegenkurs. Ich funke ihn an, um nach Netzen oder Langleinen zu fragen, erhalte allerdings keine Antwort. Dafür quatschen kurze Zeit später zwei Japaner ewig lange auf Kanal 16, bis ich dazwischen funke. Ab da herrscht Stille (bis auf Bermuda Radio, die wir immer noch hin und wieder hören) und wir fragen uns, ob die Burschen hier legal unterwegs sind.
Um 16:00 Ortszeit (Bermuda) klingelt der Alarm meines Handys und erinnert mich daran, das Wetterfax zu ziehen. Wir empfangen Boston Radio glasklar und die Karte, die sich da in 10 min auf dem Display des Laptops darstellt ist so sauber wie aus dem Internet geladen. Das Tief zieht rasendschnell, benimmt sich aber wie vorhergesagt und kreiselt am Azorenhoch entlang nach NO weg. Morgen soll es schon fast bei Neufundland sein. Uns hat es damit wie geplant in Ruhe gelassen, allerdings hätten wir etwas mutiger sein dürfen, denn morgen fallen wir voraussichtlich in das "Loch" dahinter, d.h. der Wind wird abnehmen. So weit braucht man sich also nicht in das Azorenhoch zurückzuziehen.
Bis jetzt sind wir aber noch auf der Autobahn und nachdem die große Fock wieder ausgebaumt ist, preschen wir mit 7 kn in die Dämmerung. Unter Deck ist es trotz der Fahrt erstaunlich ruhig, denn mit den achterlichen Wellen gleiten wir sanft dahin. Trotzdem verbringe ich die meiste Zeit des Tages in der Koje, denn seit gestern kämpfe ich mit anhaltenden Kopfschmerzen. Nach Aspirin und Seekrankheitstabletten kommt Steffi darauf, dass es Salzmangel sein könnte. Neben den Maiskolben kocht sie mir noch eine konzentrierte Suppe und siehe da, die Kopfschmerzen verschwinden.
Sonntag, 18.05.2008 (364. Tag)
Im Laufe der Nacht hat der Wind auf S gedreht und immer weiter abgenommen. Obwohl ich nach meiner Nachtwache meist völlig gerädert bin und am liebsten von sechs bis acht schlafe, machen wir heute erstmal großen Garderobenwechsel. Die kleine Fock verschwindet und das Groß wird gesetzt. Damit machen wir dann wenigstens wieder 3,5 kn Fahrt, doch hin und wieder schlagen die Segel, die Dünung ist einfach noch zu ruppig.
Nachdem ich eine halbe Stunde schlummern durfte hat sich der Wind völlig verabschiedet und wir dümpeln mit schlagenden Segeln wild rollend auf der Stelle. Das ist unerträglich, also starten wir den Motor und tuckern mit stehender Fock dahin. Bis Flores sind es noch 1450 nm und da viele Yachten angeblich gerade die letzten Meilen mit leeren Tanks in Sichtweite der Inseln im Azorenhoch festliegen, ist Motoren eigentlich keine Option. Doch bei diesen Wellen durchgerollt werden, das ist eine Tortur, also einigen wir uns auf maximal 8 h Motorlaufzeit. Danach müssen wir uns der Rollerei hingeben.
Wenigstens der Gecko heitert uns auf. Er hat die ersten Tage überlebt und hat unter dem Solarpaneel Stellung bezogen. Von dort lugt er hier und da hervor , verweigert allerdings nach wie vor die angebotene Nahrung. Wir geben unser bestes und binden winzige Speckstückchen an ein Haar von Steffi. Im ersten Moment schaut er wie elektrisiert auf das sich bewegende Fleisch, doch seine Augen sind zu scharf und lassen sich nicht täuschen.
"Komm, mein kleiner Gecko, putt putt putt..."
Steffi nimmt sich ein Herz und schaut am Mastfuß nach den Kabeln der Dreifarbenlaterne. Hier liegt Spannung an und ein Putzen der Kontakte bringt keinen Erfolg. Wir werden also weiterhin unseren dicken Verbraucher da oben füttern müssen, doof.
Das einzige, was es draußen zu sehen gibt, ist ein langer Nesselfaden einer Qualle am Servoruder der Windfahne. Da lassen wir also erstmal die Finger von, müssen aber beim Bergen des Ruders in Flores daran denken.
Mittags ist eine leichte Brise aufgekommen und die See hat sich soweit beruhigt, dass unser Versuch, das Groß zu setzen von Erfolg gekrönt wird. Es steht fast ohne zu schlagen und auch wenn 2,6 kn nicht gerade viel sind, freuen wir uns darüber Diesel zu sparen. Dank der flotten Fahrt von gestern beträgt unser Etmal 140 nm, wir sind also ganz zufrieden, liegen zusammen in der Backbordkoje und haben seltsamer Weise beide Heimweh nach Flensburg. Dort ist jetzt Frühling, d.h. man kann wieder bei einer Margarita auf dem Nordermarkt sitzen, die Hafenspitze belebt sich, der ccff hat sein Regattatraining und der Reißwolfcup findet in Scharbeutz statt. Wir sehnen uns außerdem nach den Ausflügen mit dem Tandem, einem Flens im 51-Stufen-Kino und unserem Freundeskreis. Es ist eindeutig: Wir befinden uns auf der Heimfahrt und das Gefühl, neuen unbekannten Gegenden entgegen zu segeln ist weg. Und dabei haben wir noch die Azoren, Irland und Schottland vor uns, wir klagen wirklich auf hohem Niveau...
Wir haben aus dieser Flaute gelernt und ändern unseren Kurs langsam weiter nach Norden. Wenn wir täglich das Wetterfax mit seinen 24- und 48-Stunden-Prognosen empfangen, sollten wir das Geschehen ausreichend im Auge behalten können. Die nächsten Tiefs sind schon im Anzug, doch solange das Azorenhoch noch so stark ist, dürfen wir uns ruhig weiter an seinen nördlichen Rand trauen und damit die stärkeren Winde der vorbeiziehenden Tiefs mitnehmen.
Leider nimmt der Wind abends wieder ab und wir müssen das Groß bergen. Die anhaltende Dümpelei und die ewigen Segelmanöver frustrieren uns zusehends. Dann schon lieber Sturm. Zum Glück ergreift Steffi die Initiative und schnippelt uns einen Obstsalat. Der hebt die Stimmung deutlich und als hätten sie nur darauf gewartet, kommen vier kleine Delphinchen vorbei geschwommen und begleiten uns ein wenig. Da der Räucherspeck aus Guadeloupe nicht schmeckt und zusehends ranzig riecht, schmeißen wir ihn ihnen zu, doch sie scheinen das eine Zumutung zu finden und drehen ab.
Etwas beschämt lassen sie uns zurück, doch eine große Skua lenkt uns ab. Sie umfliegt uns in immer enger werdenden Kreisen und scheint landen zu wollen. Wir vermuten, dass sie es auf unseren kleinen Mitsegler abgesehen hat, der smaragdgrün leuchtend auf dem Solarpaneel sitzt, doch irgendwann wendet sie und beginnt weiter weg zu kreisen. Wir sind uns nicht sicher, ob es Verschmutzung oder Tierchen sind, aber im Wasser schweben überall leuchtende, reflektierende Pünktchen, wie Konfetti aus Alufolie.
In der Abenddämmerung verspricht ein heranziehender Squall Wind, doch er zieht leider an unserem Heck vorbei. Wir dümpeln in die Nacht hinein, allerdings mit der Zuversicht aus dem Wetterfax, dass der Wind morgen wieder aus West anzieht.
Montag, 19.05.2008 (365. Tag)
Trotz der aufgezogenen Bewölkung ist es nachts wieder total hell und in der Ferne leuchtet das Wasser silbern auf, wenn der Mond es durch eine Wolkenlücke bescheint. Solche Bedingungen entschädigen einen für den ganzen restlichen Mist. Wir machen immer noch nur knapp 3 kn Fahrt und da die Wellen wieder wilder werden, rollt Apelia manchmal so stark, dass man sich nur noch irgendwo festkrallen und abwarten kann.
Als ich morgens schlafe, ergreift Steffi die Initiative und setzt die kleine Fock als Passatsegel. Davon werde ich wach und so gibt es danach wieder mal Toast mit Marmelooode und Philadelphia zum Frühstück. Der Frischkäse ist in den USA ganz angesagt und er scheint sich auch ungekühl ewig zu halten. Damit wird dieses amerikanische Labber-Weißbrot zum Glück erträglich, aber nach drei Scheiben reicht es mir dann doch.
Während ich noch kämpfe, ist Steffi inzwischen vollkommen eingeschaukelt und bringt mir mit den D, E und A-Akkorden "Nehmt Abschied Brüder" und "Die Gedanken sind frei" als Ständchen auf der Gitarre.
Steffi, schwer vom Gitarrenvirus infiziert.
Im Laufe des Vormittags hat der Wind auf gut 4 Bft angezogen und unter der Passatbesegelung machen wir 5,7 kn. Herrlich, dass es endlich wieder voran geht und da auch die Wellen wieder lang und sanft sind, hebt sich die Stimmung noch weiter. Sie sind etwa 2,5 m hoch und Apelia hebt und senkt sich sanft über diese Riesen hinweg. Das ist Blauwassersegeln, wie man es genießen kann und da auch die Temperaturen mitspielen, sind wir rundherum zufrieden. Nachts ist es leicht frisch und wir ziehen unsere langen Schlafanzüge an, aber tagsüber kann man noch locker nackig herumspringen.
Mit dem zunehmenden Wind beschleunigen auch wir und das Log pendelt sich irgendwann bei 6,8 kn ein. Leider sind die Wellen etwas kabbelig und so reicht es nur selten zum Surfen. Dafür spritzt immer mehr Gischt über Deck. Der Gecko verzieht sich daraufhin in den Mast und versteckt sich zwischen den Falten des Großsegels. Wir hoffen, dass es ihm da besser geht, er war schon ganz schwarz, als er über das nasse Kajütdach nach vorne schlidderte. Wir haben noch versucht, ihn zu fangen und unter Deck zu bringen, aber er schien den Braten zu riechen.
Zum Abendessen gibt es Nudeln mit Tomatensauce, doch das Gemüse aus Bermuda hat wenig Geschmack. Es scheint einfach nur steril zu sein, es zeigen sich nicht mal Fruchtfliegen, auf die wir für unseren Mitsegler warten. Trotzdem belebt das warme Essen bei diesem Schmuddelwetter die Geister. Die nahende Kaltfront des passierenden Tiefs kündigt sich vorbildlich mit Schauern an und bei dem achterlichen Wind müssen wir den Niedergang sogar mit dem Steckschott verschließen.
Ich bin gerade eingeschlafen, da erwischt uns ein dickes Gewitter. Zum Ausweichen blieb keine Chance, am gesamten Horizont flackerten die Wolken im Widerschein der Blize und es sieht gruselig aus. Wir setzen uns auf die Ölzeugsitze am Niedergang und lassen das Unwetter über uns hinweg ziehen. Der Himmel ist fast durchgehend von den Blitzen beleuchtet, doch wir hören es nur selten donnern. Scheinbar spielt sich das ganze in großer Höhe ab, wir können uns also entspannen.
Natürlich ist bei diesem Regen wieder die Mastwanne übergelaufen und als Steffi die Bilge lenzt, entdeckt sie darin auch ein wenig Diesel. Es hat schon die letzten Tage danach gestunken, scheinbar muß am Tank eine Schlauchschelle nachgezogen werden, doch da sich momentan Segel, ein Anker, Schlafsäcke, eine Gitarre, eine Geige, diverse Snacks und Wasserflaschen darüber türmen, verschieben wir diesen Punkt auf die Azoren.
Dienstag, 20.05.2008 (366. Tag)
Die gesamte Nacht über wechselten sich die Gewitter mit Flauten ab, in denen Apelia hemmungslos rollte und uns den Schlaf raubte. Auch die Gewitter haben uns anfänglich immer noch auf die Ölzeugsitze getrieben, doch da sich die Blitze hauptsächlich hoch oben in der Atmosphäre tummeln, entspannen wir uns zusehends und legen uns irgendwann auch wieder in die Kojen. Trotzdem bleibt das Geflackere, dass unsere Luken und den Niedergang hell aufleuchten läßt, gruselig. Gewitter auf offenem Wasser sind einfach nicht unser Ding.
Nachdem auch ich meinen Schlaf morgens nachgeholt habe, überrascht Steffi mich mit einer Bescherung. Ja stimmt, heute sind wir genau seit einem Jahr unterwegs! Und um das Jubileum noch zu toppen bedeutet der 20. Mai, dass wir seit 10 Jahren gemeinsam durch das Leben wandern! Das wäre eigentlich Grund genug, unseren Cava-Pikkolo zu öffnen, doch das heben wir uns lieber für die Ankunft auf. Jetzt erstmal gibt es die Pralinen der Contessa für Steffi und ein "Live slow, sail fast"-T-Shirt aus Bequia für mich.
So wie die Vorhersage aussieht, werden wir die kommende Zeit mit den Passatsegeln gut versorgt sein und als Steffi das Segelkleid über das Groß zieht, läuft Ihr der Gecko über den Weg. Scheinbar hat er die Regengüsse der letzten Nacht gut zwischen den Falten des Groß' überstanden und wechselt jetzt wieder runter zum Solarpaneel. Es ist toll, wie er dabei die Farben wechselt. Morgens ist er immer ganz schwarz, aber wenn die Sonne ihn aufgewärmt hat, schillert er in den wildesten Tönen.
Trotz des stark schwankenden Windes haben wir heute ein Etmal von 130 nm geschafft. Das ist okay, zumal das Wetterfax für die kommenden Tage wieder mehr Wind verspricht. Das Azorenhoch ist mometan wahnsinnig groß und reicht im Osten weit nach Norden. Die Tiefs (alle mit "Gale" bezeichnet) prallen wirkungslos davon ab und wenn wir uns weit genug in das Hochdruckgebiet vorwagen, bleiben wir auch von ihren Kaltfronten verschont.
Das Meer ist hier eindeutig anders als im südlichen Passatgürtel. Die Farbe ist grauer und man sieht einfach, dass es ein rauheres Revier ist. Im Wasser tummelt sich hin und wieder eine Portugiesische Galeere und in der Luft sehen wir wieder deutlich mehr Vögel, darunter viele große Sturmvögel. Während der Motor nachmittags vor sich hin zuckelt und den Akku wieder voll pumpt, stehe ich ganz hinten in der Plicht und bewundere die Eleganz, mit der diese kleinen Albatrosse durch die Wellentäler flitzen. Die Galeeren sind dagegen einiges plumper, wie sie da vor ihrem aufgblasenen Schirmchen dahin treiben. Hin und wieder sehen wir sie sogar in den Wellen kentern, aber dann dauert es nicht lange und sie richten sich wieder auf.
Zum Lesen fehlt mir momentan irgendwie die Lust. Ich versuche mich nochmal an der "Kleinen Weltgeschichte der Philosophie", kann mich aber im Gegensatz zu Steffi nicht damit anfreunden. Häufig habe ich das Gefühl, dass die Philosophen entweder banale Sachen einfach nur ausformulieren oder sich in Sphären bewegen, denen ich ohne halluzinogene Mittel nicht folgen kann. Wenn Ihr jetzt von mir entsetzt seid, habt Nachsicht und schiebt es auf meine mangelnde Intelligenz...
Apropos mangelnde Intelligenz: Ich ziehe mir ein Hörbuch von Tom Clancy auf den mp3-Player. Aus irgend einem Grund werden die Kapitel nicht in der chronologisch richtigen Reihenfolge wiedergegeben, aber das macht bei so einer flachen Unterhaltung nichts aus. Ich höre mir wirklich alle Kapitel in zufälliger Reihenfolge an und kann trotzdem folgen. Das war dann aber auch das Ende unserer gemeinsamen Zeit, Tom Clancy brauche ich in meinem Leben keine Zeit mehr zu opfern.
Nach Tortellini mit Sahnesauce gehen wir abends wieder in unseren gewohnten Wachrhythmus über. Die letzte Gewitternacht hatte uns wachgehalten und damit völlig aus dem Takt gebracht. Das heißt, dass ich jetzt bis Mitternacht schlafen darf und dann bis 6:00 morgens Wache gehen muss.
Das Wetter ist gnädig und Apelia zieht sanft schaukelnd bei raumen 4 Bft ihre funkelnde Bahn durch den Nord Atlantik. Der Mond nimmt ab und zeigt sich daher erst in der zweiten Nachthälfte. Das Meeresleuchten ist damit in Steffis Wache mal wieder besonders intensiv und als uns eine Herde Delphinchen begleitet leuchten ihre Spuren tief unter uns auf.
Mittwoch, 21.05.2008 (367. Tag)
Auch meine Nachtwache beginnt ganz entspannt. Der aufgegangene Mond sorgt für viel Licht und man sieht die Wellen um einen herum. Hin und wieder kommen richtige Monstren durchgezogen, aber sie sind sehr lang und bis auf dass sie mich beeindrucken, machen sie nichts. Gegen 4:00 sichte ich dann allerdings achteraus das gefürchtete Wetterleuchten und kurz darauf kommen wir zwei Stunden lang in den "Genuß" eines Gewitters. Mal stärker und mal schwächer, ohne Böenwalze, dafür mit viel Regen. Es sind mal wieder zwei unangenehme Stunden, die wir ängstlich, aber ergeben bei verrameltem Niedergang in unseren Kojen liegen und darauf hoffen, dass sich das elektrische Feld über uns nicht für Apelias Mast interessiert.
Zum Frühstück bekomme ich ein Omlett mit Frühlingszwiebeln und auch der Gecko bekommt seinen Teil angeboten. Allerdings vergebens, er setzt konsequent auf Nahrungsverweigerung und heute morgen entdecken wir nur sein pechschwarzes Schwänzchen, dass unter dem Solarpaneel hervorlugt.
Steffi hält momentan unsere Ehre mit "Die Brüder Karamasow" von Dostojewskij hoch, während ich (ich schäme mich auch wirklich dafür) das Hörbuch "Assasini" über mich ergehen lasse. Es ist einfach nur seicht und flach, doch beim Hörbuch muss man nicht mal das Gehirn zum Lesen aktivieren und kann richtig schön blöde in der Koje liegen und sich berieseln lassen. Etwa so wie fernsehen.
Unser Etmal beträgt wieder 130 nm und wir sind zufrieden. Wir könnten mit dem Groß mehr Fahrt machen, doch wenn uns dann ein Schauer mit seiner Böenwalze erwischt, müssen wir zum Segelmanöver raus und dazu haben wir nicht viel Lust. Mit den beiden Focks als Passatsegel machen wir bei den raumen 4 Bft etwa 6 kn und können Windschwankungen ganz gelassen entgegensehen. Der weit vorne liegende Druckpunkt läßt Apelia sauber Kurs halten, ist schon eine ziemlich geniale Besegelung.
Während ich nachmittags die Wetterfaxe ziehe, kocht Steffi wiedermal eine Suppe, die meinem Salzhaushalt sichtlich gut tut. Irgendwie sinkt er auf See immer ab, was ich trinke, kann ich direkt wieder auspinkeln und irgendwann bekomme ich dann Kopfschmerzen. Hangele ich mich dagegen von einem salzigen Gericht zum nächsten, geht es mir körperlich viel besser und dieses leichte Gefühl der Seekrankheit verschwindet. Schon lustig, wie unterschiedlich wir auf die Bedingungen reagieren.
Den Gecko haben wir seit heute morgen nicht wiedergesehen und hoffen, dass er sich in den Schutz des Segelkleids zurückgezogen hat. Auch heute gibt es wieder keine Fotos. Irgendwie passiert nichts besonderes, Ihr müßt also mit reiner Prosa leben.
Donnerstag, 22.05.2008 (368. Tag)
Endlich haben wir mal wieder eine völlig ereignislose Nacht. Von den Vortagen bin ich allerdings so erschlagen, dass Steffi mich um 5:00 Uhr schlafend vorfindet und den Rest der Wache für mich übernimmt. Meine letzte verschlafene Großtat war es, die nicht funktionierende Dreifarbenlaterne einzuschalten, anstatt unser weißes Topplicht auszuschalten.
Der Wind hat inzwischen nach Süd gedreht, so dass wir unter Passatsegeln nur noch 50 Grad schaffen, aber das ist egal. Wenn wir nicht wieder in die Flaute fallen wollen, müssen wir sowieso weiter nach Norden halten. In unserem Imray-Übersegler sind in diesem Gebiet viele Eisbergsichtungen notiert. Auch die Eisgrenze um Neufundland reicht im Norden bis auf 180 nm an uns heran, doch diese Fakten beruhen wohl auf älteren Daten. Die Eisberge wurden 1912 gesichtet und da das Wasser hier immer noch um die 21 Grad C warm ist, machen wir uns keine Sorgen.
Nach einem Pfannkuchenfrühstück steht uns ein großer Garderobenwechsel bevor. Dazu jagen wir erstmal den Gecko aus dem Großsegel und unter das Solarpaneel. Er fällt eindeutig vom Fleisch. Man sieht seine Rippchen und wir machen uns Sorgen, ob er es bis Flores schafft. An Bord finden wir aber auch wirklich nicht eine Fliege, heute morgen lag nur ein totes Tintenfischchen an Deck
Die fliegende Fock verschwindet und wir setzen das Groß, allerdings im zweiten Reff um zusammen mit der großen Fock den Druckpunkt weit vorne zu halten. Sonst läßt einen jede steilere Welle stark anluven, wodurch man teilweise weit überkrängt. Der Komfort an Bord wäre damit dahin. Unter dieser etwas seltsam anmutenden Besegelung machen wir jetzt angenehme 6,4 kn und unterschreiten die 1000-Meilen-Marke, was die Stimmung merklich hebt.
Draußen wird es jetzt ungemütlich. Bei halbem Wind kommt häufig Wasser über, wenn ein brechender Wellenkamm am Rumpf zerplatzt. Und dann spritzt es nicht nur ein wenig, sondern waschen massive Sturzbäche über das Cockpit in die Plicht... Über das Cockpit? Oh je, da bekommt unser kleiner Mitsegler jetzt den Vollwaschgang! Wir machen uns wirklich Sorgen um ihn und beschließen, dass es so nicht weiter geht. Kurz abfallen und während Apelia ruhig die Wellen herab surft, jage ich den Gecko mit einem Kiefernleistchen unter dem Solarpaneel hervor. Er springt an ein Fall und beginnt daran hoch zu klettern, dann verschwindet er um den Mast und als ich daran gelehnt hinter ihm her gucke, springt er zwischen dem Mast und Segel durch auf meine Schulter. Glück gehabt, während ich vorsichtig zurück und unter Deck balanciere, bleibt er brav sitzen, guckt allerdings aufmerksam herum und nutzt die erste Gelegenheit um sich zwischen den Wasserkanistern in der Backbord-Hundekoje zu verschanzen. Das ist so gar nicht clever, die Dinger wiegen gut 20 kg und bewegen sich schonmal leicht. Zum Glück scheint er dunkle Ecken nicht zu mögen und kurz darauf sehen wir ihn in der Backbord-Hundekoje auf dem zusammengefalteten Segelkleid sitzen. War er vorhin noch schwarz, leuchtet er jetzt hell orange. Überhaupt scheint er rot zu mögen, denn kurze Zeit später hat er sich auf die rote Paprika im Gemüsenetz verkrümelt.
Wir machen uns Hoffnungen, dass er sich hier wohl fühlt und vielleicht sogar das ein oder andere Insekt findet. Allerdings scheint die Rechnung nicht aufzugehen. Das Gemüse ist steril wie Arztbesteck. Um Fruchtfliegen zu züchten haben wir ein Bananenstück gemust. Funktioniert normalerweise immer, aber das Zeug wird nur ein wenig braun und vertrocknet. Monsignore Gecko wird also sein Gürtelchen noch etwas enger schnallen müssen.
Mit den halb-raumen 5 Bft machen wir 6,5 kn, eiern dabei aber ziemlich hin und her. Das ist so gar nicht mein Ding und ich "meditiere" die meiste Zeit in meiner Koje vor mich hin. Die Wellen schütten Massen an Wasserkübeln über das Boot, aber zum Glück ist alles dicht. Die Luftfeuchtigkeit ist allerdings generell hoch und kombiniert mit dem Salz, dass wir automatisch mit unter Deck bringen, fühlt sich inzwischen alles ein wenig klamm an.
Zum Abendessen kocht Steffi Kartoffelbrei mit Sauerkraut und Würstchen und entdeckt dabei zwei schimmelnde Zwiebeln, die auch den einen Kohl angesteckt haben. Das ist aber kein großes Problem, wir haben noch massig frisches Obst und Gemüse an Bord und es hält sich viel besser als erwartet (war ja alles aus dem Kühlregal). Nach einer Pille schmeckt es auch mir und so sitzen wir heimelig in unserer kleinen, relativ trockenen Welt und schielen immer mal wieder nach hinten zu unserem Gast. Der kleine Kerl ist inzwischen über die Rettungsinsel nach Steuerbord ins Obstnetz geklettert, liegt wie hingegossen auf einer Pampelmuse und scheint zu schlafen. Es ist ein rührendes Bild und wir sind froh, ihn aus seiner Waschküche geholt zu haben.
Aus einer Laune heraus schaltet Steffi nochmal die 3-Farben-Laterne ein und oh Wunder, sie brennt. Es kann also nur irgend ein blöder Wackler sein, gut dass wir jetzt wieder Strom sparen können. Bei dieser dichten Bewölkung reichte das Solarpaneel nicht aus und die gewöhnliche Glühbirne im Topp und die eine Stunde Laptop für das Wetterfax saugten den Akku langsam leer.
Nachts klart es auf und Steffi setzt sich im Ölzeug raus und genießt den Sternenhimmel. Immer wieder kommen große Delphinherden vorbei, vielleicht ist es aber auch ein und dieselbe und Steffi entdeckt ein Schiff, dass uns am Horizont passiert. Ich bin bei dieser wilden Rollerei eher etwas träge und versuche verzweifelt meinen Schlaf zu finden. Somit bekomme ich auch nichts von der Tragödie mit, die sich bei einer besonders steilen Welle im Obstnetz abspielt: Die Pampelmuse gerät ins Rollen und für den Rest der Nacht fehlt jede Spur von unserem kleinen Gast.
Freitag, 23.05.2008 (369. Tag)
Es hat nicht einen Tropfen geregnet, aber trotzdem ist draußen und leider auch im Boot alles klitschnaß vom Tau. Das sind wirklich Liter, die hier ausgefallen sind und damit werden die Kojen im ersten Moment ziemlich ungemütlich schmierig.
Wir machen uns beide Sorgen um den Gecko und suchen nacheinander die Gemüsenetze durch. Schließlich finde ich ihn auf dem Grab Bag, Steffis großem Rucksack, auf dessen schwarzen Stoff der kleine gut getarnt ist. Als die Sonne durch's Luk auf das Segelkleid scheint, wechselt er dorthin und erstrahlt in leuchtendem orange. Jetzt geht es ihm scheinbar wieder gut, denn er gibt heftig mit seinem Kehlsack an. Wir haben nach den Ergeinissen der letzten Nacht ein schlechtes Gewissen, so dass wir uns nur noch wie in Zeitlupe bewegen. Er soll sich jetzt erstmal wieder an die Umgebung gewöhnen.
Nach meiner Wache bin ich gerade nochmal eingeschlummert, da quakt das Funkgerät los: "The little sailing yacht with the white sails, this is...". "Weiße Segel" ist jetzt zwar kein gutes Unterscheidungsmerkmal, doch wir fühlen uns angesprochen und als wir rausschauen, sehen wir etwa zwei Meilen voraus einen Tanker auf Gegenkurs. Er ist auf dem Weg nach Florida und der Wachhabende ist die Freundlichkeit in Person. Es scheint wirklich so zu sein, dass hier draußen in der Einsamkeit die Menschlichkeit groß geschrieben wird. In den stark befahrenen Wassern um die Bahamas waren alle extrem kurz angebunden, doch dieser Funker fragt, ob alles okay sei und will alles mögliche von uns wissen. Zum Schluss gibt er uns unaufgefordert die Wetterprognose für die kommenden drei Tage. Die haben wir zwar selber, aber es ist trotzdem schön, von einem dritten mitgeteilt zu bekommen, dass uns auch weiterhin beste Bedingungen erwarten.
Unser Alltag: Schlafen und essen.
Der Wind dreht wieder mehr nach Westen und die 6 Bft lassen Apelia mit 6,6 kn marschieren. Unser letztes Etmal beträgt sagenhafte 160 nm, es ist also eigentlich alles perfekt, doch das Meer ist fürchterlich kabbelig und ich komme nicht richtig zur Ruhe. Von achtern läuft eine große Dünung von 3 m unter uns durch, aber von Süden gesellen sich kurze, steile Wellen dazu und statt des üblichen sanften Dahingleitens, taumelt Apelia ziemlich besoffen vor sich hin. Gegen Abend muss ich mal wieder ein Pillchen einwerfen und bekomme kurz vor dem Einschlafen noch mit, wie der Gecko die Leiter hochklettert und nach einer kurzen Pause im Niedergang zu seinem Revier um das Solarpaneel zurückkehrt. Er scheint ein wahnsinnig gutes Bild für die Umgebung zu haben, so zielstrebig, wie er auf das Kajütdach wechselt. Immer noch kommt hin und wieder viel Gischt über, doch wir lassen dem kleinen Kerl seinen Willen.
Steffi sitzt am Anfang ihrer Wache mal wieder im Ölzeug draußen und singt. Der Wind ist inzwischen sehr böig. Mal dümpeln wir bei 3 Bft dahin, dann läßt uns eine 5 Bft Bö einen Satz nach vorne machen. Das sind für uns, soweit weg von jedem Land, ganz seltsame Bedingungen. Wir passieren eine kleine Schildkröte und als Steffi kurz danach die 3-Farben-Laterne einschaltet, leuchtet sie in gewohnter Weise auf. Vielleicht hat sich das Problem ja erledigt.
Samstag, 24.05.2008 (370. Tag)
Meine Nachtwache ist ohne besondere Vorkommnisse, der Wind bleibt allerdings weiterhin so wechselhaft. Dümpeln, Bolzen, Dümpeln, Bolzen... Als ich die Wache morgens wieder an Steffi gebe entdecken wir, dass der "Time To Go"-Zähler des GPS anfängt runter zu zählen. Wir feiern es mit einer dieser leckeren Florida-Orangen.
Steffi sitzt wieder im Ölzeug eingepackt in der Plicht und genießt den strahlend blauen Himmel. Der Gecko zeigt sich auch mal wieder und scheint heute auf Gefahrensuche zu sein: Nachdem er in den Falten des Großsegels übernachtet hat (dahin verzieht er sich, wenn es unter dem Solarpaneel zu naß wird), sitzt er jetzt auf dem baumelnden Ende der Dirk und schwingt wild hin und her. Naja, solange er sich noch solche Herausforderungen sucht, scheint es ihm nicht ganz so schlecht zu gehen.
Unser Etmal sind phantastische 170 nm. Da kommt Freude auf und die rauhe Nacht ist schnell vergessen. Um die Fahrt weiterhin drin zu halten, reffen wir nachmittags aus. Allerdings mit schlechtem Gewissen, denn vom Gecko fehlt jede Spur. Da wir ihn auch nicht aus dem Segel purzeln sehen, sitzt er höchstwahrscheinlich auf der Kajüte.
Es ist wieder so richtig warm und wir pellen uns aus unseren Schlafanzügen. Kalt war es bisher noch nicht, wir hatten noch nie mehr an, doch diese Hitze die die Klammheit unter Deck vertreibt kommt uns sehr gelegen. Auch heute Nacht sitzt Steffi wieder viel draußen, bewundert die Sterne, freut sich, dass der Wagen langsam wieder an seinen gewohnten Platz rutscht und sieht eine dicke Sternschnuppe, die genau über uns explodiääääät. Auch die Delphinchen sind wieder zu Besuch, es ist also alles gewohnt herrlich und perfekt.
Sonntag, 25.05.2008 (371. Tag)
Auch ich stehe in meiner Nachtwache viel im Niedergang. An die Leiter gelehnt guckt mein Kopf damit genau über das Kajütdach und man kann sich herrlich entspannen. Aus dem mp3-Player haucht mir Sidney Ellis den Blues in die Ohren und ich blicke gebannt auf das Meer, das sich friedlich im Mondschein um uns herum bewegt. Die Wellen sind gut 2 m hoch, aber auch 20 m lang. Apelia eiert nicht mehr, sondern gleitet sanft dahin. Der Mond läßt das Wasser silbrig aufleuchten, sonst ist alles schwarz. Es ist eine unglaubliche Stimmung und leider durch nichts einzufangen. Das sind die Momente, für die man sich so weit auf's Wasser hinaus wagt. Vielleicht werde ich deshalb etwas sentimental, auf jeden Fall fühle ich mich in dieser Nacht tief mit Apelia, unserer kleinen Sperrholzhundehütte, verbunden, die uns sicher über so eine lange Zeit und Strecke transportiert. Das Ende der Tour ist inzwischen am Horizont aufgetaucht, doch es nervt mich nicht mehr, ich freue mich schon auf die Zeit nach der Rückkehr. Die restlichen drei Monate gilt es aber nochmal in vollen Zügen zu genießen!
Bis Flores sind es jetzt weniger als 450 nm und damit rücken die Azoren in unsere Diesel-Reichweite. Ein gutes Gefühl, da wir jetzt mit jedem Tag tiefer in das Azorenhoch eintauchen und damit noch nicht klar ist, was der Wind machen wird. Nördlich von uns zieht momentan ein gigantisches Tief durch mit einer Kaltfront, die bis nach Bermuda reicht, doch wir haben uns die letzten Tage erfolgreich zwischen ihr und dem Azorenhoch dahin gemogelt und bleiben von ihr verschont.
Auch der Gecko hat sich mal wieder am Solarpaneel gezeigt. Halte aus, du kleiner Drachen, bald darfst Du unter den Insekten von Flores ein Massaker anrichten! Ob er es schafft ist allerdings noch nicht klar. Jedes Mal wenn wir ihn sehen, sieht er schlechter aus. Irgendwie farbloser und magerer.
Ein Glück, dass wir nahrungstechnisch weniger wählerisch sind und uns auch mit Rührei und Frühlingszwiebeln zufrieden geben. Als Steffi dabei ihren Rundblick macht, entdeckt sie genau vor uns auf Gegenkurs einen Großen. Er hält wirklich genau auf uns zu und als ich ihn anfunke kommt keinerlei Reaktion. Beim zweiten Mal hat er dann aber seinen Kurs um ein Grad geändert und passiert uns in 400 m Abstand. Als wir uns daraufhin bedanken kommt doch noch eine Reaktion und der Wachhabende sendet gleich noch die Wetterprognose zu uns herüber. Also doch ein netter Kerl, vielleicht haben wir ihn vorhin etwas aufgeschreckt.
Endlich mal ein Bild zum veranschaulichen der Wellenhöhe.
Mittags reffen wir das Groß voll aus und hoffen unser Etmal von 140 nm beizubehalten. Wenn der Südwind uns weiterhin so erhalten bleibt, sollten wir das gut schaffen. Es ist einfach nur herrlich: Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, wir hören im Cockpit Blues und essen ein Risotto, Steffi übt fleißig Gitarre und ich fange an, am Tagebuch zu tippen. Das Meer beruhigt sich zusehends und hin und wieder passieren wir Portugiesische Galeeren. Allerdings treibt hier auch viel Müll herum. Plastiktüten, Leinenreste, Gefäße und Auftriebskörper von Fischernetzen. Bisher fanden wir den Atlantik sehr sauber, aber die Zeichen der Zivilisation mehren sich hier eindeutig.
In der Nacht nimmt die Delphinchenschau gar kein Ende mehr und wir schielen immer öfter auf die "Time To Go" des GPS.
Montag, 26.05.2008 (372. Tag)
Ich habe mir Stephen Hawking auf den mp3-Player geladen, doch das ist etwas zu schwerer Tobak für eine Nachtwache. Nach der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und der Stringtheorie schlummere ich ein und komme erst bei den Quarks wieder zu mir.
Wir schießen mit 7 kn durch die Nacht. Das Meer ist eigentlich glatt, nur ein ewig langer achterlicher Schwell schiebt uns an. Die Delphinchenshow nimmt gar kein Ende mehr, so dass wir uns irgendwann in die Kojen legen und ihrem Gequietsche zuhören.
Unsere Sorgen um den Gecko wischt er selbst beiseite und zeigt morgens kurz mal seinen Kopf. Es geht ihm deutlich schlechter. Er magert sichtlich ab und seine Farbe ist nur noch ein schmutziges schwarz-grün. Außerdem werden seine Bewegungen zunehmend lethargisch. Als letzten Versuch nehme ich mir ein hartgekochtes Ei und schnitze aus dem Eiweiß kleine madenförmige Würstchen. Vielleicht läßt er sich damit täuschen, doch abends liegen sie alle immer noch unangerührt vor dem Solarpaneel.
Der GPS scheint zu spinnen, denn angeblich jagen wir mit 8,3 kn dahin. Die werden allerdings vom Hand-GPS bestätigt, scheinbar reiten wir hier einen gigantischen Strom. Solange es nicht der Mahlstrom ist, soll es uns recht sein. Mittags läßt leider der Wind nach und trotz der Genua bringen wir es über Grund auf "nur" noch 7 kn. Flores kommt beständig näher.
Volles Rohr auf Flores zu.
Als ich es anspreche, stimmt Steffi mir zu: Wir haben beide seit ein paar Tagen das Problem, dass wir scheinbar geistig nicht ausgelastet sind. Zumindest wirbeln die Gedanken ohne Ende in unseren Köpfen. Uns beschäftigt vor allem, wie wir unser Leben nach der Rückkehr gestalten. Ein Punkt jagt den anderen, so dass wir sogar Mühe haben zu schlafen. Das ist wirklich völlig beknackt und wir probieren uns, auf einzelne Sachen zu konzentrieren und den Strom an Gedanken einzudämmen.
An der Gitarre wechseln wir uns inzwischen ab. Ansonsten tippe ich tagsüber Emails und lese mir Projektskizzen von Forschungsanträgen durch, die Hubert mir geschickt hat. Sozusagen als Einstimmung für die Rückkehr.
Der Gecko läßt sich ansonsten nicht mehr blicken und ich befürchte das schlimmste.
Dienstag, 27.05.2008 (373. Tag)
Der Countdown läuft. Je nachdem wie wir voran kommen könnten wir in 24 h da sein. Die Ankunft im Dunkeln wäre zwar nicht mein Favorit, aber im Notfall könnte ich mich damit arrangieren. Das Meeresleuchten ist wahnsinnig intensiv und man sieht trotz des Mondes unser Heckwasser glimmen. Bei diesen ruhigen Bedingungen finden wir gut in den Schlaf und brauchen somit tagsüber nicht viel nachzuholen. Es ist erstaunlich, wie man eine kurze Schlafdauer trainieren kann, doch ich freue mich jetzt auf die Aussicht, demnächst wieder hemmungslos 8 h am Stück pennen zu dürfen.
Wir quatschen tagsüber viel und ich tippe emsig am Tagebuch. Morgen Vormittag werden wir ankommen und dann will ich natürlich alles gleich für Euch hochladen.
Unsere Segelwand bringt uns sanft voran.
Dass wir den Gecko so gar nicht mehr sehen finde ich langsam bedenklich, aber Steffi gibt die Hoffnung nicht auf. Abends, kurz vor dem Wachwechsel entdeckt sie ihn hinter dem Instrumentenhöcker. Von dem Prachtkerl ist überhaupt nichts mehr übrig. Er scheint nur noch aus seinem Gerippe zu bestehen, die vormals bunt leuchtende Haut ist schwarz-grün gefleckt, sein Drachenköpfchen ähnelt jetzt mehr einer Rosine und sein Verhalten ist die reinste Aphatie. Ich meine mich zu erinnern, dass Reptilien ziemlich zähe Burschen sind, aber als ich dieses Häuflein Elend sehe, kommen mir Zweifel, ob er es noch bis morgen schafft, zumal er sich jetzt mühsam unter den Stecker des Solarpaneels schiebt, der ihm in der Nacht so gar keinen Schutz liefert. Au man, was für eine Ironie des Schicksals, nur noch eine Nacht, dann hätte er es geschafft...
Uns bleibt nicht viel Zeit, uns sorgen um ihn zu machen. Innerhalb zweier Rundblicke hat sich der Himmel bezogen und von achtern kommen düstere Wolken angezogen. Auf den letzten Meilen noch eine Front, oder was soll das? Die Wetterdaten habe ich heute nicht mehr empfangen, schließlich sind wir ja so gut wie da.
Was uns dann in der Nacht überrollt ist eindeutig eine Kaltfront. Zum Glück ohne Gewitter, aber ein Schauer folgt dem nächsten und da damit auch die Winde ständig drehen, darf der Wachgänger dauernd raus und an der Windfahne "schwurbeln".
Voraus entdecken wir ein einsames, weißes Licht und funken die vermeintliche Yacht an. Daraufhin meldet sich Strong Patriot, ein kleiner amerikanischer Containerfrachter. Der Wachhabende ist vom Akzent her eindeutig ein junger Amerikaner und extrem besorgt. Er würde gerade in unserer Nähe durch einen dichten Schauer fahren und könnte nichts sehen. Zur Sicherheit gäbe er Schallsignale, wir sollten uns also melden, wenn wir etwas hörten. Auf dem Radar könnte er uns nicht erkennen.
Nachdem wir gequatscht haben, meldet sich Light Blue, die Segelyacht, die vor uns fährt. Es ist eine 38 ft lange Stahlsloop und sie lag auf Bermuda neben der Impromptu. Sie sind am selben Tag wie wir aufgebrochen, d.h. wir waren wahrscheinlich immer auf ähnlicher Höhe. Und trotzdem haben wir die gesamte Überfahrt nicht eine andere Yacht gesehen. Ist schon seltsam.
Mittwoch, 28.05.2008 (374. Tag)
Die Nacht bleibt so wechselhaft wie sie begann. Immer wieder dreht der Wind und dann muß man raus in den kalten Nieselregen und alles neu trimmen. Ist nervig und morgens schläft der Wind dann auch noch völlig ein. Es ist wie immer, erst dachten wir, wir kämen gestern Abend an, dann hieß es heute morgen und jetzt stehen die Zeichen auf heute Abend.
Der Gecko scheint wirklich gestorben zu sein. Sein ausgemergeltes Körperchen liegt genau wie gestern Abend unter dem Stecker des Solarpaneels. Jedes Mal wenn ich ihn sehe werde ich traurig. Hätten wir ihn doch fangen und zwangsernähren müssen? Naja, vielleicht hat es so auch den Sinn, dass wir die Bioinvasion umgehen. Möglicherweise hätte er das Klima der Azoren gar nicht vertragen.
Heute Nacht ist garantiert eine Kaltfront über uns hinweg gezogen. Es ist merklich frischer, aber dafür ist die Luft glasklar. Außerdem hat der Wind nach Nord gedreht, schläft aber jetzt ein. Als Flores am Horizont auftaucht, starten wir den Motor und akzeptieren, dass uns jetzt noch ein Tag unter seinem Lärm bevorsteht.
Flores wilde Westküste.
Je näher wir der Insel kommen, desto mehr gefällt uns das, was wir da sehen. Eine wilde, schroffe Vulkaninsel mit lieblichen Wiesen in den Tälern und vielem Grün. Wir werden beim Anblick der saftigen Farben ganz rappelig, aber der Wind hat uns jetzt leider vollständig im Stich gelassen. Hin und wieder kommt eine Brise durch und wir hissen sofort die Segel. Am Ende reicht es nochmal für 5 kn, aber die letzte halbe Stunde motoren wir segellos an der südlichen Steilwand entlang. Dafür können wir die Zeit dazu nutzen, uns landklar zu machen. Die Bugkoje wird aufgeräumt, der Anker wandert wieder in das Buggeschirr und wir pumpen sogar das Dinghy auf.
Um uns herum tummeln sich Scharen von Sturmvögeln. Ich schaue im Buch nach und identifiziere sie als Gelbflossensturmtaucher, die angeblich auch auf den Azoren brüten. Es sind wirklich Massen, die teilweise tief über dem langen Schwell dahingleiten, oder in großen Gruppen auf dem Wasser zusammen treiben. Alles allerdings ohne einen Ton, das wirkt ein bißchen Hitchcock-mäßig.
Scharen von Gelbflossensturmtaucher.
Das Ende kommt ganz plötzlich: Wir umrunden das Südkapp, die Hafenmole und haben vor uns das offene Becken, in dem etwa 15 Yachten ankern. Einige haben wir auf unserer Tour schonmal gesehen, die Light Blue ist auch schon da, und alle rollen ganz ordenlich im Schwell, der sich um die Nordspitze der Insel herum beugt. Das Becken ist tief, vor der Steilküste ragen hier und da Felsen aus dem Wasser, aber ganz hinten findet unser Anker auf 8 m Tiefe schnell Halt. Wir sind da! Haben den Atlantik zum zweiten Mail überquert, dabei etwa 1800 nm in 13 Tagen zurückgelegt und hatten eine ziemlich gute Tour. Insgesamt haben wir 21 Motorstunden gemacht, hauptsächlich an dem einen Flautentag und heute. Ansonsten lief der Motor hin und wieder mal eine Stunde, um den Akku zu laden. Mit dem Wasser sind wir diesmal großzügiger umgegangen. Haben das Geschirr mit Süßwasser gespült und damit etwa 60 l verbraucht, es sind also noch 60 l übrig. Alles in allem eine wirklich gute Passage.
Auf der Mole spaziert schon der Zollbeamte auf und ab, also nichts wie hin und die Formalitäten erledigen. Der junge Typ ist total freundlich, spricht allerdings kein Wort Englisch. Dafür ein paar Brocken Französisch und zusammen mit Steffis Spanisch kommen wir klar.
Zurück am Boot kommt der schwere Moment: Vorsichtig wickeln wir das schlappe Körperchen unseres unglücklichen Seehelden in ein Taschentuch, paddeln zurück an Land und nehmen Abschied. Dabei fließt natürlich das ein oder andere Tränchen und wir fühlen uns zum Teil schuldig.
Was wir danach auf dem kurzen Rundgang durch Lajes sehen, gefällt uns sehr gut. Wassermangel scheinen sie hier nicht zu haben: Alle Pflanzen strahlen in einem saftigen Grün, die Natur blüht üppig, am meisten fällt uns allerdings das allgegenwärtige Vogelgezwitscher auf. Wir sind hungrig nach mehr, doch wir spüren bald unsere untrainierten Beine und stolpern müde, aber glücklich den Berg hinab, zurück zum Hafen. Von der steilen Molenleiter ins Dinghy kommen entpuppt sich nochmal als Herausforderung, aber dann sind wir zurück in unserer kleinen Welt und fallen gemeinsam in die Bugkoje. Ein seltsames Gequietsche läßt uns nochmal aufblicken, es sind die Seevögel, die in der Steilwand über uns nisten und sich jetzt in der Dämmerung melden. Gebannt lauschen wir diesen völlig ungewohnten Tönen und schlummern darüber ein. Wir haben es geschafft!
Glücklich vor Anker nach 1800 nm.
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