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Auf Faial


Freitag, 06.06.2008 (383. Tag)

Wir beginnen den Tag mit dem Beantworten von Emails. Es steht zwar auch das Putzen auf dem Programm, doch irgendwie sind wir uns einig, dass wir noch ein paar andere Beschäftigungen als Ausflüchte brauchen. Im Hafen und der gesamten Stadt gibt es immer wieder kostenlose (EU-finanzierte?) WLAN-Netze, doch sie sind total unzuverlässig und die Verbindung bricht immer wieder zusammen. Im Tourismusbüro lassen wir uns die Hotspots in die Karte eintragen und tingeln sie danach ab, bis wir auf einem Bänkchen im Park das "Platz der Republik"-Netz finden und endlich alle Mails versenden können.
Die Rückkehr zum Bootsputz dürfen wir danach noch etwas vor uns her schieben, denn Koen (Journalist) und Maarten (Fotograf) kommen an Bord um uns zu interviewen und abzulichten. Sie schreiben einen Artikel über die niederländischen Heimkehrer und da wir ja ein niederländisches Boot fahren und auch fließend niederländisch sprechen, haben sie uns als einen ihrer vier Interviewpartner auserkoren. Wenn alles klappt, erscheint der Artikel in der niederländischen Zeitschrift Nautic.
Mangels Alternativen müssen wir uns dann aber doch mit dem Bootsputz auseinandersetzen und wischen uns weiter zwischen den Spanten und Stringern hindurch Richtung Hinterschiff. Immer wieder stoßen wir dabei auf Schimmelnester und machen ihnen mit unserem portugiesischen Domestos den Garaus. So verdrängen wir das Gemuffel langsam aber sicher mit Schwimmbadgeruch.

Putzdienst.


Abends reicht es mir und bewaffnet mit der Kamera, beginne ich die Hafenmole abzuwandern und sehe mir dabei die Malereien der Yachten genauer an. Ich habe keine Ahnung, wie die Sache begann, aber es gehört heutzutage zum Standardprogramm, dass man sich in Horta mit einer Zeichnung verewigt. Die Mole, alle Wände und auch der Boden sind im Umkreis des Hafens mit Gemälden bedeckt. Ich bin mir noch gar nicht sicher, wo wir unseren Stempel hinsetzen sollen, so voll ist es. Die Kreativität der Leute kennt dabei keine Grenzen. Von primitiven Schmierereien, über stylische Logos bis hin zu richtigen Gemälden gibt es wirklich alles. Es dauert ein wenig, aber dann entdecke ich an der Hafenmole das Bild von Dirk und Stine, die vor zwei Jahren mit ihrer Scampolo hier waren und mehr durch Zufall stolpern wir später auch noch über das Bild der Nare Bazen von Walter und Bram. Somit ist Apelia wahrscheinlich die dritte 1010, die die Atlantikrunde segelt.

Gemäldegalerie am Hafen.


Als ich zurück komme, wird gerade unser Berg an Wäsche geliefert. Es gibt hier einen Service, der nur wenig mehr kostet als selbst zu waschen, also war es für uns klar, dass wir alles zusammenpackten was ging und in einem Aufwasch diese Sorge los waren. Nachdem alles eingeräumt ist, spazieren wir zur großen Hafenmole raus, wo eine Zweimast-Megayacht liegt. An Deck macht ein junger Typ seine Runde und als wir ihn auf den lärmenden Generator ansprechen, entpuppt er sich als äußerst mitteilsam. Er arbeitet erst seit kurzem an Bord und somit ist er noch ganz begeistert und läßt uns gerne teilhaben. Das Boot ist allerdings segeltechnisch die letzte Krücke. Sorry für die folgende Aussage, aber es ist halt richtig italienisch (Pini Navi oder so), alles nur Optik, die Praxis blieb auf der Strecke. Von Bermuda sind sie in 6,5 Tagen herüber gedampft. Immer schön mit Motor, die Segel kamen nur bei idealen Bedingungen als kleine Schubhilfe dazu. "Richtig" gesegelt wird nur wenn der Eigner an Bord ist (sonst könnte was kaputt gehen), doch sobald das Ding anfängt zu krängen, spielen die meisten Sensoren verrückt und die Brücke verwandelt sich in ein piepsendes Orchester. Schon cool...


Samstag, 07.06.2008 (384. Tag)

Etwas halbherzig beginnen wir den Tag mit Putzen und gehen danach auswärts frühstücken. Das scheint bei den Portugiesen allerdings nicht normal zu sein und wir haben etwas Mühe, ein geeignetes Lokal zu finden. Wir landen in einer Art Snackbar und während wir uns noch die Speisekarte ansehen, schleicht genau vor uns ein Monsterexemplar von einer Kakerlake über den Tresen. Also wirklich ungelogen, das Vieh war ohne Fühler gut 8 cm lang! Die Bedienung folgt unserem iritierten Blick, stößt einen Schreckensschrei aus, verfrachtet die Kakerkale mit ihrem Wischlappen ins Jenseits und fragt uns dann freundlichst lächelnd nach unserem Essenswunsch. Mir liegt "gegrillte Kakerlake" auf der Zunge, aber dann belassen wir es doch beim einem Bocadillo mit Ei, Schinken und Käse.
Beim Abrechnen zeigt sich, dass der Tourismus auch hier seine fiesen Spuren hinterläßt. Das teuerste Brötchen auf der Speisekarte kostet 1,30 EUR, aber für unseren Spezialwunsch verlangt man flotte 4,30 EUR. Unser bisher perfekter Eindruck der Azoren hat den ersten Kratzer.
Am Boot schrubben und putzen wir wie verrückt, denn für den Nachmittag ist ein kleiner Tagestörn mit Maarten und Koen vereinbart. Die beiden waren gestern so nett, dass wir es ihnen ohne zu Zögern angeboten haben. So bekommt vor allem Maarten die Möglichkeit, ein tolles Titelbild zu schießen und hat dafür das selbstverständlich hübscheste Boot des Hafens zur Verfügung. :o)
Als alles bereit ist, taucht allerdings nur Maarten auf. Koen hat sich im allerletzten Moment für eine Whalewatching-Tour entschlossen. Das hält uns natürlich nicht davon ab, auch nach Walen zu suchen und nach einem kurzen SMS-Wechsel wissen wir, dass rechts (=südlich) von Piko eine Herde Pottwale unterwegs ist, ein perfekter Amwind-Kurs mit Genua und vollem Groß bei 5,5 kn und fast ohne Welle. Echte Prachtbedingungen und wir genießen dieses ziellose Herumsegeln um des Segelns willen. Maarten turnt derweilen vom Heck bis zum Bug über Apelia und gibt alles. Trotz leichter Seekrankheit (also doch eine leichte Welle?) wird er nicht müde, alles abzulichten und wieder und wieder zu schießen. Von Pottwalen fehlt drüben bei Piko allerdings jede Spur, doch wir haben noch was besonderes auf Lager: Maarten wird im Dinghy ausgesetzt und mit dem Handfunkgerät bewaffnet dirigiert er uns um sich herum. Coole Fotos sollten also bald folgen.
Auf dem Rückweg gönne auch ich mir den Genuß, sich im Dinghy schleppen zu lassen allerdings, geht beim Fieren die Leine über Bord und so darf ich erstmal untätig zusehen, wie Apelia sich mit ausgebaumter Fock davon macht. Das bringt aber schonmal einen Vorgeschmack für die zu erwartenden Fotos.

Auf dem Rückweg nach Faial.


Zurück im Hafen wartet Koen schon mit dem Mietwagen auf uns. Er hat tatsächlich Wale gesehen, aber das ist erstmal Nebensache. Im Botanischen Garten soll es ein Kulturfestival geben und da wollen wir jetzt zu fortgeschrittener Stunde auch noch hin.
Auf den Azoren versteht man unter "Kultur"festival allerdings ein bisschen was anderes als wir. Das erste wo wir langkommen sind provisorische Kuhställe, und wir entdecken die Siegerkuh der diesjährigen Schönheitswahl (natürlich eine schwarz-weiße Schleswig-Holsteinerin). Dahinter geht es dan tatsächlich kulturell zur Sache: Auf einer Bühne steht ein Orchester mit Chor, die traditionelle Bauernlieder singen und davor tanzt ein Grüppchen im Kreis. Wie schon vor einem dreiviertel Jahr in Viana do Costello ist der Gesang so absolut nicht unser Ding. Die Dissonanz der Frauen ist so deprimierend, dass wir schnell weitergehen.

Die Volksmusik-Combo (anclicken zum anhören; auf eigene Gefahr!).


Wie schon gesagt, bzgl. "Kultur" verstehen die Leute hier alles, was ihnen das Leben angenehmer macht und so stellen hier alle Autohersteller ihre neusten Modelle aus und werden in Buden neue Küchen, Dachpfannen, Fenster und Rasenmäher angeboten. Das ganze gleicht mehr eine Messe für Häuslebauer, aber der botanische Garten ist voller Locals und wir lassen uns langsam durch das Gewimmel treiben.
Im Festzelt gehen wir auf's ganze und bestellen jedes der drei Gerichte einmal. Frittierte Rindsleber, ein undefinierbarer, aber dafür eßbarer Gulasch und ein gewöhnliches Fleischgericht sind die Folge. Die Leber lassen wir links liegen, aber das Rindfleisch auf den Azoren ist wirklich allerfeinst. Kein Wunder, dürfen die Kühe doch das ganze Jahr lang über die grüne Wiese spazieren.


Sonntag, 08.06.2008 (385. Tag)

Auch wenn heute Sonntag ist, können wir uns wenigstens zum Putz der Steuerbord-Bank aufraffen. Wirklich jede Büchse wird von Steffi abgewischt und anschließend von mir trockengerubbelt und nochmal in die Sonne gestellt. Eine ganz besonders hinterhältige große Pfirsichbüchse stürzt sich dabei in suizidaler Absicht aus dem Korb, entscheidet sich aber dann im Flug doch gegen ihr eigenes Ende und nutzt einen meiner Zehen als Aufpralldämpfer. Ich sag' Euch, LEBENSGEFÄHRLICH, diese großen Obstdosen!!!
Als ich den Zeh abtaste, knirscht er ganz komisch. Ab da lasse ich lieber die Finger davon und gucke zu, wie er langsam lila wird. Den Rest des Tages verbringe ich faul in der Bugkoje liegend und heische bei Steffi erfolgreich ganz viel Mitleid.
Naja, ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Wir schreiben viele Emails und freunden uns mit unseren Nachbarn an. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell wir immer mit den Leuten in Kontakt kommen. So kennen wir jetzt unseren Nachbarn rechts, der mit seinem großen Kat a la Wolfgang Hausner nur bis zur Geburt seines ersten Kindes auf den Azoren bleibt, den Nachbarn links, der ein uraltes Kunststoffboot wirklich perfekt renoviert hat und Rob von gegenüber, der heute mit seiner Rassy 43 aus Amerika ankam. Wir halfen beim Anlegen und kamen sofort ins Gespräch. Er ist Nord-Ire und arbeitet bei der Polizei. Steffi war sofort sein fittes Äußeres aufgefallen und auf Nachfrage erfahren wir, dass er wohl bei sowas wie der GSG9 arbeitet. Um unsere Sicherheit brauchen wir uns wohl nicht zu sorgen. Er ist wirklich ein Brecher von einem Kerl.
Ein weiterer Neuankömmling fällt sofort ins Auge. Es ist eine riesige, hellblaue Rennschleuder. Alles ist vom feinsten, bis hin zu den eleganten Kohle-Steuerrädern. Wirklich ein schmuckes Teil, doch als ich die Aufschrift am Bug lese muß ich stutzen: RWTH Aachen steht da. Ich bin drauf und dran rüber zu laufen um herauszufinden ob sich eine Hochschule dank Studiengebühr oder dank Elite-Universität sowas leisten kann. An Bord sehe ich auf jeden Fall keinen Studenten, oder die grauhaarigen Herren müßten schon so einiges an Semestern auf den Buckeln haben.

Geht sowas dank Studiengebühren oder Elite-Uni-Dasein?
RWTH Aachen

Den Abend verbringen wir gemütlich bei Roswitha und Karl und werden seit langem mal wieder mit Keksen verwöhnt. Die beiden wollten eigentlich morgen weiter, doch ein Sturmtief ist im Anzug, also bleiben sie noch ein wenig hier.


Montag, 09.06.2008 (386. Tag)

Heute kommen Steffis Eltern, also müssen wir endlich die letzten Ecken putzen. Scheinbar durchläuft Apelia momentan ihre inkontinente Phase. Nach den leckenden Wasserflaschen und dem Leck am Dieseltank hat auch das Pumpenbodenventil des Kochers seine Probleme, so dass auf dem BB-Stringer unter dem Wassertank eine Petroleumlache steht. Zum Glück ist der Wassertank seit gestern leer, so dass ich ihn ausbauen und gleich am Steg reinigen kann. Dazu füttern wir ihn mit Corega Tabs und lassen ihn randvoll auf dem Steg stehen.
Mittags ist alles sauber, eingebaut und frisch angeschlossen und mit einem Taxi fahren wir raus zum Flughafen um Steffis Eltern willkommen zu heißen. Der kleine A320 kommt wie ein Sportflugzeug angeflogen, dreht eine Platzrunde mit ordentlich steilen Kurven und setzt nach einem unglaublich flachen Anflug mit einer richtigen Schleppgaslandung sauber auf. Dann wird die Schubumkehr reingehauen und gebremst was geht, lang ist die Bahn nicht.
Die Wiedersehensfreude ist auf beiden Seiten natürlich riesig und im Hotelzimmer beginnt sofort die große Bescherung. Zwei Ausgaben der ZEIT hatten wir uns ja gewünscht, aber damit geht es erst los. Es folgen mehrere Ladungen Wurst, Berge von Schokolade, Brot, Marmelade und eine ganze Stange an Leckereien aus dem Rheinland. Höhepunkt sind die zwei Blechdosen mit selbstgebackenen Amerikanern und Nußecken, das Schlemmen kennt erstmal keine Grenzen.

Berge von Mitbringseln aus dem Rheinland.


Mit Tratschen geht der Tag schnell vorüber und da kümmert es nicht, dass der Himmel abends bezieht und ein paar Tropfen fallen. Da sitzen wir schon längst im Restaurant und setzen die Schlemmerei des Nachmittags nahtlos fort. Wenn das so weitergeht, werden wir die kommenden zwei Wochen wohl ordentlich zulegen.


Dienstag, 10.06.2008 (387. Tag)

Die ToDo-Liste vom Boot ist noch lang genug, also teilen wir uns auf. Steffi wandert mit ihren Eltern zu der Halbinsel im Süden mit ihrer "Caldeira de Inferno", dem Krater, der zur See hin offen ist, und ich bastle an Apelia herum. Die Pinne braucht noch drei Lacklagen und die Bilge ist noch nicht gewischt. Außerdem muß ich mal wieder in unseren Keller kriechen (der Raum unter dem Plichtboden), wo wir die Karten verstauen, denn als nächstes geht es ja in Richtung Irland und da müssen wir wieder auf die Englandkarten zugreifen.
Es stürmt den ganzen Tag und hin und wieder prasselt der Regen auf's Boot. Der Lack der Pinne zieht genau rechtzeitig an und danach kann ich mich ja unter Deck verkriechen. Die anderen stehen währenddessen am Südufer und schauen mit wohligem Gruseln auf die Wellen, die an den Steinen zerschellen. Ein schönes Gefühl, so im sicheren Hafen zu liegen...

Freude an der Natur und am Zusammensein.


Nachdem wir an Bord Tee getrunken und Steffi und ich ein Ständchen gegeben haben, macht sich eine allgemeine Schläfrigkeit breit. Papa Roller streckt sich auf der Salonbank aus und Mama Roller folgt Steffi in die Bugkoje, wo dann allerdings weitergetratscht, statt geschlafen wird. Ich nutze die Zeit zum Tagebuch tippen und genieße eine Tasse Niederegger Trinkschokolade, auch wieder so ein superleckeres Mitbringsel.
Der nachmittägliche Stadtausflug wird durch den einsetzenden Regen gestoppt und jede Partei kehrt klitschnaß in ihr Heim zurück. Wir feuern den Ofen an um die Klamotten zu trocknen und während ich noch ein wenig die Bilge putze, liest Steffi den Politikteil der neuen Zeit vor. Die Kandidatur von Gesine Schwan ist das große Thema. Bei den Worten der Woche wird deutlich, dass wir absolut keine Ahnung von den aktuellen Themen der Presse haben, doch es stört uns nicht wirklich.


Mittwoch, 11.06.2008 (388. Tag)

Während Steffi und ihre Eltern die Stadt besichtigen, kümmere ich mich weiter ums Boot. Seekarten für die Irische See brauchen wir, die EC-Karten wollen abgeholt (sind aber noch nicht da) und die schriftliche Anzeige wegen des Geldkartenbetrugs muß zur Post gebracht werden. Die Karo plant morgen weiterzufahren, doch ein Blick auf die Wetterprognose verheißt absolut nichts gutes. Ein neues Sturmtief zieht an und es sind 32 kn Wind angesagt. Und das als gewöhnliche, gemittelte Windstärke. Das will schon was heißen. Als ich gerade damit fertig bin, das Holz in der Plicht zum letzten Mal anzuschleifen, kommt der Hafenmeister mit seiner Barkasse auch bei uns langgetuckert. Vor allem von den größeren Yachten bringen sie Anker aus, doch da wir ganz vorne am Steg liegen, bitten sie auch uns mitzumachen. Unser Heck hängt also jetzt an unserem Hauptanker, der 40 m südlich im Becken liegt.
Zum Tee haben uns die Karos eingeladen, die angesichts der Prognose doch noch bleiben und als wir gemütlich im warmen Deckssalon sitzen, beginnt es zu regnen und der Wind zieht an. Da ist es in so einem Deckssalon richtig gemütlich und wir haben es nicht eilig, wieder raus zu gehen.
Als Steffi mit ihren Eltern im Hotelpool schwimmen geht, tippe ich noch ein wenig Tagebuch und bekomme eine Kostprobe von dem, was da morgen ankommt. Die Böen knallen regelrecht ins Hafenbecken und Apelia krängt um bis zu 10 Grad. Dazu schüttet es wie aus Kübeln und plötzlich bin ich saufroh, dass unser rausstehendes Heck so schön am Anker hängt. Für morgen haben wir einen Mietwagen organisiert, mal sehen, ob wir den Mumm aufbringen, Apelia alleine im Hafen zu lassen.


Donnerstag, 12.06.2008 (389. Tag)

Es regnet fast ununterbrochen, doch da Apelia sicher zu liegen scheint, holen wir den Nissan Micra morgens ab und machen uns damit auf den Weg. Es ist richtiges Schmuddelwetter und die Lust zum Wandern sinkt und sinkt. Als wir kurs vor Capelo im Westen das Hinweisschild eines Blumenparks passieren, holt der Regen gerade Luft und wir nutzen die Gelegenheit zu einer kurzen Wanderung. Dabei entdecken wir rein zufällig ein kleines Wildgehege mit Rehen, die sich über die frischen Zweige hermachen. Etwas abseits steht ein einzelnes Tier und daneben liegt ein winziges, braunes und klatschnasses etwas. Es ist ein Kitz, dass das Pech hatte, bei diesem fiesen Wetter geboren zu werden. Wir Zuschauer scheinen die Mutter überhaupt nicht zu beeindrucken und so werden wir Zeugen, wie Bambi sich wackelig und x-beinig erhebt und die Milchbar einweiht. Kein Wunder, dass wir bei soviel SÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜSSSSSSSSSSSS nicht weiter kommen und zuschauen müssen, bis das wohlverdiente Verdauungsschläfchen kommt.

Frisch geborenes Kitz im Wildgehege.


Der anschließende Spaziergang führt uns über Trampelpfade durch einen richtig dichten Urwald. Große Farne hängen über den Weg und überall schaut die bröselige, schwarze Lava aus dem Boden. Papa Roller redet uns ein, dass es hier noch irgendwo Dinosaurier geben muß, angesichts dieser archaischen Vegetation ist das beinahe vorstellbar.

Richtiger Urwald.


Mit der Rückkehr des Regens erreichen wir das Auto und fahren raus zur Westspitze. Hier spukte vor etwa 50 Jahren der vorerst letzte Vulkan Faials und es entstanden nochmal ein paar Quadratkilometer Land. Unsere Hoffnung, dass das Wetter hier besser ist wird leider durch einen heftigen Regenguß weggewischt und so sitzen wir im Auto und picknicken. Es gibt momentan absolut keinen Grund, bei diesem Wetter vor die Türe zu gehen. Die Böen orgeln ums schwankende Auto und der Regen fällt teilweise so dicht, dass er uns die Sicht auf das Meer nimmt. Doch irgendwo paßt dieses Wetter zur Landschaft. Nur hier und da haben sich ein paar Pflanzen auf der Vulkanasche angesiedelt. Ansonsten überwiegt das schwarze Geröll, das immer wieder von tiefen Schluchten durchzogen ist.

Endzeitstimmung am Ende der Welt (Insel).


Über die Nord- und damit Leeseite der Insel fahren wir wieder heim, doch unsere Hoffnung auf eine Wetterbesserung bewahrheitet sich auch hier nicht. Es gießt zwischenzeitlich so stark, dass sich die Straßen in reißende Sturzbäche verwandeln und wir kommen nur langsam voran. In Cedros machen wir eine Pause und sitzen zwischen den Bauern im Kaffee. Die Freundlichkeit dieser Menschen ist wirklich herausragend. Ich hatte die typische Westernszene (=Musik aus, alle Köpfe drehen sich zu uns) erwartet, doch weit gefehlt. Jeder geht seinen Geschäften nach und man wird freundlich gegrüßt.
Am Nordende der Bucht von Horta zerstaubt die Dünung zu Gischt und in einer kurzen Schauerpause, wagen wir uns hinab an den Strand. Er ist übersäht mit Portugiesischen Galeeren und wir fragen uns, wie lange man hier wohl besser nicht barfuß herumläuft. Der Sand ist dicht bedeckt mit ihren Tentakeln.

"Schiffsfriedhof" der gestrandeten Portugiesischen Galeeren.


Nachdem wir Steffis Eltern am Hotel abgesetzt haben, besuchen wir Jean-Luc, der sich auf seiner Pogo 8,50 für die Heimfahrt klar macht. Wenn Ihr denkt, dass eine 1010 hart ist, dann schaut mal in so einen Renner... Luxus sucht man vergebens, man steht direkt auf der Außenhaut, die mit Antislip-Matten beklebt ist und um den Tisch herum, darf man über die Bodenwrangen stolpern. Alles ist weiß und aus Kunststoff, die Bezüge der Matrazzen fühlen sich an wie Ölzeug und wenn wir dachten, dass wir ein Schimmelproblem hatten, müssen wir uns nur in dieser Plastikhöhle umschauen. Die Bretonen sind wirklich hart im Nehmen und daß Jean-Lucs Frau und ihre drei Kinder auf dieser Kiste drei Monate lang mitgesegelt sind, können wir fast nicht glauben.
Peter hatte uns schon davon gemailt und auch Koen und Maarten rieten uns dazu, das Restaurant O Esconderijo in Cedros zu besuchen. Es hieß früher Nick's Hideaway, doch vor zwei Jahren wurde das lauschige Stübchen von Hans und Fränky aus Bayern übernommen. Mit Roswitha und Karl fahren wir durch den inzwischen kübelweise strömenden Regen dorthin und genießen ein wirklich erstklassiges Essen. Nachdem die restlichen Gäste (alles Deutsche) gegangen sind, setzen sich die beiden Gastwirte noch zu uns an den Tisch und wir tratschen bis in den späten Abend. Unseren Eindruck von den freundlichen Insulanern können die beiden nur bestätigen. Trotz der Sprachbarriere scheinen sie schon jetzt gut integriert zu sein.


Freitag, 13.06.2008 (390. Tag)

Unsere beiden Karos machen heute ihrer seit St Lucia legendären Bettflucht alle Ehre (Insider), denn schon vor 10:00 klopfen sie uns raus und es folgt eine schwere, aber schnelle Verabschiedung. Es zieht sie in Richtung Heimat (Mittelmeer) und nach einem Zwischenstopp in Sao Miguel werden sie weiter auf Gibraltar zuhalten. Damit trennen sich hier leider unsere Wege, die seit Mindelo auf den Kapverden parallel verliefen, wo Karl uns ansprach. Macht es gut Ihr zwei und kommt heile durch das Mittelmeer! Wir werden Eure Gesellschaft, Karls flotte Sprüche und Roswithas mütterliche Fürsorge vermissen.

Abschied von den Karos.


Die Schauer lassen langsam nach, also wagen wir uns hoch zur Caldeira, dem zentralen Vulkan der Insel. Sein Kraterrand hüllt sich heute allerdings noch immer in dichte Watte, also bleibt uns nur ein Blick in das trostlose Weiß. Nachdem schon unsere gestrigen Wanderversuche scheiterten, macht sich heute langsam leichte Verzweiflung breit und als wir auf dem Weg hinab an einer Art Feldweg entlang kommen, lassen wir das Auto stehen und folgen ihm zu Fuß den Vulkan hinauf. Aber auch hier treiben uns irgendwann die dichter werdenden Wolken wieder hinab.

Nebelwanderung am Vulkanhang.


Auch der nächste Wanderversuch scheitert, diesmal allerdings nicht wegen des Wetters, sondern weil der Weg entlang eines malerischen Bachs unvermutet endet. Es soll wohl alles heute nicht sein und da Steffi nicht besonders gut ist, fahren wir zurück nach Horta um sie im Hotel abzusetzen. Dort zeigt sich mehr und mehr blauer Himmel. Wenn sich die Berge noch in Wolken hüllen, dann müßte heute ja wenigstens an der Westspitze gutes Wetter herrschen... Papa und Mama Roller sehen das genauso, also starten wir den letzten Versuch, der nach 20 km von Erfolg gekrönt wird: Über der schönen neuen Welt der Westspitze scheint die Sonne und es herrschen T-Shirt-Temperaturen.
Die Einöde dieser Lavalandschaft hat was erhabenes und vor den 200 m hohen Klippen kommt man sich winzig vor. Hier und da ist der Lavaschutt von schwarzen Adern durchzogen. Es sind wuchtige Säulen, die teilweise stehen bleiben, wenn das Geröll drumherum erodiert. Angesichts dieser Formen spürt man förmlich, mit welcher Gewalt dieses Land entstand. Wahrscheinlich schepperten damals auch in Horta die Tassen in den Schränken.
Die Straße endet auf dem alten Land, dass allerdings von einer mehreren Meter dicken Ascheschicht bedeckt ist. Hier und da ragen Hausgiebel aus dem Schutt. Man hat lediglich den Leuchtturm wieder ausgebuddelt, der wie ein mahnender Zeigefinger aus der Ödnis ragt. Von dort aus folgen wir den Trampelpfaden rüber auf das 51 Jahre junge Neuland, auf dem bis auf vereinzelte, winzige Pflänzchen noch nichts wächst. Am besten lassen wir die Bilder für sich sprechen:

Papa Roller und der Leuchtturm (steht auf dem alten Land).


Durch eine wilde Mondlandschaft wandern wir hinüber auf das neue Land.


Während Geologe Gerd die Steinformationen dokumentiert, blickt Expeditionsleiterin Anneliese zufrieden auf neue Horizonte.


Auf der Suche nach intelligenten Lebensformen...


...stoßen wir auf stumme Pflänzchen.


Dies waren früher die Klippen des Westkapps.


In einer Ecke der neuen Landschaft brütet eine große Möwenart und als wir uns der Kolonie nähern, stimmt die Meute ein großes Spektakel an. Zwischen den Steinen entdecken wir dicke, graue Federbällchen, wir wissen also was uns erwartet und so habe ich die Kamera gezückt, als ich mich vorwage. Es dauert nicht lange, da fliegen die Burschen wilde Attacken. Zur Sicherheit halte ich mir den Rucksack über den Kopf, doch entspannt bin ich nicht und ziehe mich bald wieder zurück.

Attackierende Möwen treiben uns wieder zurück.



Samstag, 14.06.2008 (391. Tag)

Ein strahlend blauer Himmel leuchtet uns beim Aufwachen entgegen. Endlich ist das Sturmtief der letzten Tage abgezogen. Der Hafenmeister fährt herum und fischt die Anker aus dem Grund und überall hängt Ölzeug in den Plichten. Auch Apelia braucht dringend frische Luft. Durch den Mast ist die letzten Tage viel Wasser hereingekommen, die Mastwanne lief über und wir verbrachten die letzten Abende viel Zeit damit, zwischen den Stringern und Bodenwrangen zu wischen. Doch Besserung ist in Sicht: Gestern habe ich beim Schreiner zwei Planken Buchenholz gekauft, mit denen ich die Mastwanne hochziehen kann. Dann ist auch das letzte Leck-Problem gelöst.
Im Sonnenschein fahren wir rauf zur Caldeira und das Wetter hält bis zum Krater durch. Lediglich auf der Luvseite bilden sich die klassischen Wolken und stürzen sich in den 200 m tiefen Krater, wo sie sich bald wieder auflösen. Ein tolles Schauspiel und wir stehen staunend auf der Aussichtsplattform am Rand.

Die Caldeira von Faial.


Der Wanderweg führt immer auf dem Rand des Kraters entlang, in 2,5 h hat man ihn umrundet. Auf der Leeseite scheint die Sonne, doch der Wind ballert uns um die Ohren und senkt die Temperatur. Die Ausblicke sind phantastisch: Links von uns die fast senkrechten Kraterwände und rechts die sanft abfallenden Vulkanhänge, die hin und wieder von tiefen Schluchten durchzogen sind. Das hier oben ist wirklich die Arena der Insel, die man komplett überblicken kann. Im Norden sehen wir die Spinnaker der Regatta, die heute die Insel umrundet. Da juckt es uns etwas in den Fingern. Hätten wir doch teilnehmen sollen? Die Idee, Aplia dafür ausräumen zu müssen bringt uns dann aber schnell wieder auf den Boden der Tatsachen/des Vulkans zurück.

Ausblick über die gesamte Insel.


Blühendes Moos.


Auch entlang des Weges finden wir kleine Kraterseen.


Das letzte Stück des Weges führt durch die Wolken (1031 m hoch).


Die letzten 200 m des Weges bieten nochmal ein kleines Abenteuer. Der Weg ist nicht mehr ausgeschildert und so stolpern wir über eine holperige Wiese den Berg hinab, zwischen den stoisch wiederkäuenden Kühen hindurch.
Wir sind schon ordentlich geschafft nach dieser Wanderung, doch ich will Steffi unbedingt die Westspitze zeigen. Wir haben auch die Badeklamotten im Gepäck, denn Mama Roller hat gestern natürliche Badewannen im Lavastrand entdeckt. Die Fahrt reicht allerdings aus, um uns richtig schön schläfrig werden zu lassen und so ist am Westkapp nicht mehr viel Motivation für eine große Wanderung vorhanden. Wir begnügen uns damit, zwischen den Steinen am Strand herumzukraxeln. Die "Badewannen" sind vom gestrigen Südsturm mit Treibgut und Portugiesischen Galeeren gefüllt, wir verzichten also auch auf das Bad.
Auf dem Rückweg schauen wir nochmal beim Bambi vorbei. Es stakst schon etwas sicherer in der Gegend herum und entdeckt dabei seine Hufe immer wieder aufs neue. Eine andere Ricke liegt etwas apathisch im Heu und so wie es aussieht, ist auch bei Ihr die Geburt im vollen Gange. Wir warten eine ganze Weile, doch das scheint zu dauern, also fahren wir heim.

Nochmal eine Portion Süß zum Nachtisch.



Sonntag, 15.06.2008 (392. Tag)

Nach den letzten zwei Wandertagen sind wir heute faul. Steffi geht mit ihren Eltern in die Kirche, ich tippe Tagebuch und danach vespern wir auf der Apelia. Die Sonne brennt heute vom wolkenlosen Himmel und die Temperaturen erreichen Höchstwerte. Ein völliger Gegensatz zu den letzten Tagen und wir sind froh darüber. Nachmittags tippe ich an Emails und am Tagebuch und bastle am Boot herum, während die anderen in der Plicht tratschen und am Strand baden. Halt ein richtiger Sonntag um die Seele baumeln zu lassen. Morgen nehmen wir die Fähre nach Pico. Einen Hafen gibt es dort nicht, also bleibt Apelia hier in Horta. Sozusagen Bootsurlaub.